"Vor Gericht wird das Verschulden des Mannes auf der Viehwaage gemessen, das der Frau auf der Apothekerwaage": Die Scheidungsanwältin Helene Klaar vertritt trennungswillige Frauen vor Gericht.
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"Scheidung ist für Männer ein finanzielles Problem, für Frauen ein existenzielles": Was für Frauen drinnen ist, versucht Helene Klaar herauszuholen - möglichst ohne Gekeife, erfuhr Doris Priesching.

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Standard: Wahrscheinlich haben Sie es schon hunderte Male erlebt: Ich will die Scheidung, weil mein Mann mich betrügt. Er nicht. Wie gehen Sie vor?

Klaar: Ich frage Sie zuerst, wie lange Sie verheiratet sind.

Standard: 15 Jahre, zwei Kinder.

Klaar: Waren Sie immer berufstätig?

Standard: Bis auf vier Jahre Karenz.

Klaar: Ob Sie einer Pension entgegenblicken, von der Sie leben werden können.

Standard: Eher nicht.

Klaar: Dann frage ich Sie, wie Sie wohnen: In einer Miet- oder Eigentumswohnung?

Standard: Eigentum.

Klaar: Wie wurde die finanziert? Steckt da von einem Teil ein Erbe drin? Wurde sie auf Kredit gekauft und während der Ehe abbezahlt?

Standard: Sagen wir, ein Teil davon war mein Erbe.

Klaar: Das ist gut, das höre ich gern.

Standard: Aber ein Teil ist kreditfinanziert.

Klaar: Das ist ziemlich gut. Danach versuche ich zu eruieren, was diese Wohnung wert wäre und ob es anderes Vermögen gibt. Ob Sie diese Wohnung behalten wollen, oder ob Sie sie Ihrem Mann überlassen wollen. Dann überlegen wir, ob Sie für den Fall der Scheidung einen Unterhaltsanspruch hätten. Und ob Sie es sich leisten könnten, Ihren Mann auszubezahlen, abzüglich Ihres Erbes ...

Standard: Ich will aber eigentlich nichts bezahlen, mein Mann hat ja mich betrogen.

Klaar: Das hat damit ja überhaupt nichts zu tun. Seit der Familienreform 1976 bzw. 1978 ist die Aufteilung verschuldensunabhängig. Das heißt, er kann Sie täglich mit einer anderen betrügen, wenn die Wohnung während der Ehe angeschafft wurde, unterliegt sie der Aufteilung. Kann man es sich nicht leisten, den Mann auszubezahlen, akzeptiert man besser, dass er zweispännig fährt.

Standard: Ihnen eilt ein bestimmter Ruf voraus: Dem Exmann bleibe nach einer von Ihnen vertretenen Scheidung genau nur das Hemd, das er am Leibe trägt.

Klaar: Blödsinn, aber das macht nichts: Der Ruf ist mir angenehm. Männer verstehen unter einer Scheidung, dass ihnen alles bleibt und den Frauen nichts. Das widerspricht meinem Sinn für Gerechtigkeit. Was für die Frauen drinnen ist - und das ist wenig genug - versuche ich herauszuholen. Wie Sie an unserem Fallbeispiel sehen, kann ich der beleidigten Frau nicht ohne weiteres raten, ihn zum Teufel zu schicken.

Standard: Scheidung ist also rechtlich nicht die beste Lösung?

Klaar: Sie ist für Männer ein finanzielles Problem, für Frauen ein existenzielles Problem. Natürlich lässt sich keiner gerne rupfen, aber selten hängt ein Mann mit seiner Existenz an der Ehe und kann nicht weiterleben.

Standard: Worauf müssen Frauen bei der Scheidung besonders aufpassen?

Klaar: Sie darf keinen Fehler machen. Sie darf nicht unaufmerksam sein, nicht aufhören sich für den Mann zu interessieren, weil sie dann vielleicht etwas nicht erfährt, was Beweismittel werden könnte. Sie darf nicht aggressiv zu ihm sein. Sie darf, auch wenn er sie betrügt, keinesfalls selbst Trost suchen bei einem anderen Mann. Sie darf nicht seinen Chef anrufen und fragen: "Macht der Hurenbock wirklich Überstunden oder ist er bei seiner Freundin?" Das wäre eine schwere Eheverfehlung und könnte sie um ihren Unterhaltsanspruch bringen. Erzählt sie niemandem von der Situation, heißt es nachher, die Ehe war eh toll. Erzählt sie, wie es zu Hause wirklich ausschaut, könnte ihr der Mann vorwerfen, dass sie schlecht über ihn spricht und Intimes nach außen trägt.

Standard: Klingt nach schweren Gesetzeslücken.

Klaar: Damit sie Unterhaltsansprüche hat, muss die Ehe aus alleinigem Verschulden des Mannes geschieden werden. Die Judikatur agiert hier außerordentlich frauenfeindlich. Vor dem Richter wird dann das Verschulden des Mannes auf der Viehwaage gemessen und das der Frau auf der Apothekerwaage.

Standard: Das Gesetz lässt auch aus?

Klaar: Wir sind sicher in Bezug auf Frauenrechte auf einer Talfahrt. Es wird alles eingeschränkt. Der Unterhalt wird immer weniger, die Familienbeihilfe wird angerechnet, es wird bei der gemeinsamen Obsorge jeder halbe Tag, den ein Kind beim Vater ist, vom Unterhalt abgezogen. Mittlerweile wird diskutiert, ob der Umstand, dass die Kinder in der Ehewohnung wohnen dürfen, sie nicht ohnedies zum Teil versorgt und das auch vom Unterhalt abgezogen werden kann.

Standard: Wird bei den Scheidungen mehr gestritten als früher?

Klaar: Mittlerweile sind mehr als 90 Prozent aller Scheidungen einvernehmlich, das heißt aber nicht, dass die beiden Hand in Hand vors Gericht hüpfen. Die einvernehmliche Scheidung steht oft am Ende eines mehrjährigen Diskussionsprozesses oder eines strittigen Scheidungsverfahrens.

Standard: Welche Verhaltensregeln muss ich vor Gericht beachten?

Klaar: Sie sollten den Partner nicht beschimpfen. Frauen, die in der Ehe oft zurück stecken mussten, glauben manchmal, das Gericht ist das jüngste Gericht und der Richter der liebe Gott. Beides ist nicht der Fall. Es wird nicht erwartet und ist nicht erwünscht, dass da große Emotionen gezeigt werden, obwohl das manchmal sehr schwer ist.

Standard: Was dürfen Sie als Anwältin vor dem Richter gar nicht tun?

Klaar: Keifen. Und ich darf den Klienten nicht bewerten. Der Anwalt ist der Gehilfe seines Klienten und kann weder einen Rat noch eine Verhaltensweise aufdrängen, noch sagen: "Aha, Sie haben sich von dem Alten also wieder einkochen lassen." Wenn jemand sagt, er möchte sich doch nicht scheiden lassen, habe ich das zu respektieren.

Standard: Haben Sie selbst schon jemanden umgestimmt?

Klaar: Ich gebe als Denkbeispiel immer: Glauben Sie, Sie können am 24. Dezember allein unterm Christbaum sitzen? Grundsätzlich ist eine Scheidung wie eine Blinddarmoperation: So lange Bauchwickel helfen, soll man die Finger davon lassen.

Standard: Und die Ehe wie ein Blinddarm - eigentlich unnötig?

Klaar: Sie ist sinnvoll, wenn es Kinder gibt. Die Idee zu sagen, da heirate ich lieber gar nicht, ist schön, wenn man eine Wohnung hat und keine Kinder. Oder so reich und unabhängig, dass einem das wurscht sein kann. Doch die Bienenköniginnen sind rar.

Standard: Was halten Sie von Eheverträgen?

Klaar: Ich halte sie für unseriös. Man versucht von vornherein den anderen auszutricksen. Fast alle Eheverträge, die ich bisher gesehen habe, waren frauenfeindlich. Die anderen hatten nur den Zweck, Frauen Rechte abzuknabbern, die das Gesetz für sie vorsieht.

Standard: Mögen Sie Anwaltsserien?

Klaar: Die halte ich nicht aus. Ich schaue gern "Schauplatz Gericht" mit Peter Resetarits. Da freue ich mich daran, dass ich nicht die schrecklichsten Klienten habe.

Standard: Jetzt muss ich Ihnen eröffnen: Ich will mich von Ihnen vertreten lassen, kann Ihnen aber keinen Cent zahlen?

Klaar: Ich sage den Leuten beim Erstgespräch schon, was es kostet. Es gäbe die Möglichkeit, einen Antrag auf Verfahrenshilfe zu stellen, und ich würde Sie im Zuge meines Turnus vertreten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.3. 2008)