Wien - Dem anonymen Auge von "Big Brother" entgeht nichts. Rund 4,2 Millionen Überwachungskameras sind in England auf alle möglichen öffentlichen Orte gerichtet. Wann immer man das Haus verlässt, werden Bilder angefertigt. Das ließe es rein theoretisch zu, den Alltag von Personen Bild für Bild zu rekonstruieren - ein Science-Fiction-Szenario, das näher an einer kontrollgesellschaftlichen Wirklichkeit ist, als man denkt.

Die österreichische Medienkünstlerin Manu Luksch hat nun einen Film realisiert, der zur Gänze auf das Bildermaterial aus ebendiesen Überwachungskameras zugreift. Ein Datenschutzgesetz nützend, das die Verwendung der Bilder erlaubt, die von einem selbst erstellt wurden, hat Luksch in Faceless sozusagen vor lauter fremden Augen inszeniert. Das eigentlich polizeiliche Material wird so auf originelle Weise zweckentfremdet.

Die Überwachungsaufnahmen, in denen über den Köpfen der Menschen kreisförmige Schwärzungen vorgenommen wurden (um die Identität Dritter zu schützen), sind in ihrer Erzählung Material eines totalitären Staates, der seine BürgerInnen nicht nur permanent kontrolliert. Er beherrscht sie auch durch eine allumfassende Jetztzeit, die ihnen jedes Gefühl für Individualität genommen hat. Es ist dies die ein wenig redundante Variante einer Orwell'schen Zukunftsvision, die als Off-Kommentar in der glasklaren Sprache von Oscarpreisträgerin Tilda Swinton aber ihren Zweck gut erfüllt.

"Faceless" wird zur Geschichte der Erweckung einer Frau aus dem tiefen Schlaf der Anonymität. Seine Wirkung verdankt der Film allerdings vor allem den verschwommen pixeligen Bildern. Sie sperren sich zwar ein wenig gegen die Dramaturgie, entfalten aber eine eigentümliche melancholische Aura. Wenn aus interesselosen Fluchten nüchterner Wohnbauten oder dem Blick auf kopflos uniforme Menschen plötzlich ein Moment der Paranoia erwächst, dann ist der Film endlich bei sich selbst. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, Print, 6.5.2008)