Straßburg - Im Streit um die Benes-Dekrete ist es bei einer Sondersitzung im Europäischen Parlament (EP) diese Woche zu keiner Annäherung gekommen. "Eine historische Geste des Bedauerns fehlt nach wie vor", erklärte der deutsche Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses, Elmar Brok (CDU), nach der Aussprache mit Tschechiens Außenminister Cyril Svoboda. Auch über Restitutionen für ausländische Staatsbürger wollte Svoboda nicht sprechen. "Dieses Kapitel sei "geschlossen". EU-Kommissär Günter Verheugen soll das Ergebnis "mit großem Ernst zur Kenntnis genommen" haben und wird das Thema nun voraussichtlich am Samstag bei einem deutsch-tschechischen Versöhnungstreffen in München zur Sprache bringen. Im Europaparlament in Straßburg rechnet man laut Kreisen aber nicht mit einer Bewegung Tschechiens vor dem EU-Referendum am 15./16. Juni.

"Befriedigende Antworten (des tschechischen Außenministers, Anm.) haben gefehlt", betonte Brok nach der Ausschuss-Sitzung. Svoboda habe lediglich zugesagt, "dass es nach dem Beitritt in Tschechien keine Diskriminierung geben wird". Aus Sicht des Parlaments ist eine Nichtdiskriminierung in Folge der Benes-Dekrete derzeit aber noch nicht gewährleistet. Konkret geht es etwa um die Aufhebung des Straffreistellungsgesetzes aus dem Jahre 1946. Laut Brok verstößt dies klar gegen das Gemeinschaftsrecht. Svoboda habe lediglich betont, dass das Gesetz keine Relevanz mehr habe. Brok beharrt jedoch auf einer Aufhebung. Passiere dies nicht, werde sich nach dem Beitritt Tschechiens die Kommission oder der Europäische Gerichtshof einschalten, so der Ausschussvorsitzende.

Tschechien bewegt sich nicht

Für VP-Europaabgeordnete Ursula Stenzel, österreichisches Mitglied des Ausschusses, wäre eine Aufhebung dieses Gesetzes "ein ungeheures politisches Signal. Ich glaube nicht, dass die tschechische Nation das als Beleidigung empfinden würde", sagte Stenzel. Von den Gesprächen im Europaparlament zeigte aber auch sie sich "enttäuscht". Tschechien habe sich "in keiner Weise bewegt" und missachte damit die Beschlüsse des Europäischen Parlaments. Dieses hatte Ende November des Vorjahres Tschechien einstimmig dazu aufgefordert, eine politische Geste zu setzen. Im Parlament wachse nun "ein gewisser Unmut, wie man mit diesem Beschluss umgehe", meint Stenzel.

Laut einer aktuellen Umfrage seien 61 Prozent der tschechischen Bevölkerung für einen Beitritt des Landes zur EU. Bei so einer breiten Mehrheit könne man von verantwortlichen Politikern erwarten, dass sie auf Beschlüsse des EU-Parlaments "entsprechend reagieren"; so die ÖVP-Europaabgeordnete. Das Parlament hatte im November auch beschlossen, dass die Benes-Dekrete aus Sicht des EU-Rechts kein Hindernis für einen EU-Beitritt Tschechiens sind. Die derzeitige Diskussion werde damit zwar "keine Relevanz für den Beitritt Tschechiens habe, sehr wohl aber für das politische Klima, unter dem dieser Beitritt erfolgt. Die Restitutionsfrage wird Tschechien auch nach dem Beitritt begleiten", sagt Stenzel. (APA)