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Im Ausmaß der Zerstörung ohne Unterschied: Sicherheitskräfte beim Löschen von Marktständen nach dem weiblichen Selbstmordanschlag am 7. Juli in Bakuba.

Reuters/STRINGER/IRAQ

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Stereotype Medienbilder über Frauen in Krisengebieten: Irakische Frauen, die um ihre Angehörigen trauern.

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Bakuba - Die Gewalt im Irak befindet sich laut Angaben von Sicherheitsdiensten auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahren, doch eine spezielle Form von Gewalt ist im Steigen begriffen: Immer mehr Frauen erklären sich bereit, als Selbstmordattentäterinnen ihr eigenes Leben und das möglichst vieler weiterer Personen in einem Feuerinferno zu beenden. Ende Juni war in den Medien von Wenza Ali Mutlaq die Rede, die sich und 14 weitere Personen vor dem Gouverneurssitz in der Provinzhauptstadt Bakuba in die Luft sprengte. Ungefähr zwei Wochen später schlug eine weitere Selbstmordattentäterin auf dem Marktplatz von Bakuba zu und tötete dabei sich selbst und neun weitere Personen.

Mit dem letzten Anschlag ist die Zahl der 2008 dokumentierten weiblichen Selbstmordanschläge im Irak auf 21 gestiegen. Im Jahr 2007 belief sich die Zahl noch auf acht. Nach irakischen Polizeiangaben und dem amerikanischen Militär häufen sich die Fälle zudem in der Provinz Diyala: 11 der rund 20 Anschläge haben sich nur in dieser einzigen Provinz ereignet. Die Anschläge wurden alle der Extremistenorganisation Al-Kaida zugeschrieben.

Warum Frauen?

Warum ausgerechnet Frauen sich für diese Form des Widerstands entscheiden gibt Streitkräften, WissenschafterInnen und SozialarbeiterInnen Rätsel auf. Das Phänomen ist nicht neu und auch in anderen Krisengebieten, etwa in Nahost und in Afghanistan, töten einzelne Frauen sich und andere im Dienste "einer höheren Sache".

Über die persönliche Motivation der Frauen gibt es kaum mehr als Vermutungen, wenngleich die Ansicht vorherrscht, dass die Frauen unter Druck handeln. In der "New York Times" macht Sajar Quaduri, Mitglied der Diyala-Provinzregierung, die untergeordnete Position von Frauen in der sunnitischen Gesellschaft für das Phänomen verantwortlich: "Obwohl diese Frauen sich selbst und andere töten, sehe ich sie als die eigentlichen Opfer des Terrorismus", so das einzige weibliche Mitglied des Sicherheitskommittees. Und sie fügt hinzu: "Wenn ihr Ehemann getötet wurde oder im Gefängnis sitzt, sehen sie keinen anderen Ausweg mehr."

Zudem sei die Mobilität der Landbevölkerung sehr niedrig, viele Frauen hätten nie etwas anderes als ihr Dorf kennengelernt und könnten zumeist nicht einmal lesen.

Die 40-jährige Wenza Ali Mutlaq hatte bereits einen Bruder in der Familie, der ebenfalls einen Selbstmordanschlag verübte. Er sprengte sich am 10. Juni während eines Gefechts mit irakischen Sicherheitskräften in die Luft. Und diese Verbindung ist kein Einzelfall: Laut Polizeiangaben und örtlichen Kommittees haben fast alle Selbstmordattentäterinnen bereits einen Ehemann, einen Bruder oder einen Sohn in den Kämpfen verloren.

Quaduri will nun ein Selbsthilfeprogramm für Angehörige von getöteten Al Kaida-Kämpfern starten. "Wir können vorhersagen, dass solche Frauen bereit sind, sich als Selbstmordattentäterinnen benutzen zu lassen. Aber wir haben auch keinen konkreten Verdacht, aufgrund dessen wir sie einsperren könnten", erläutert Quaduri das Problem.

Militärische Ziele

Das US-Militär ist der Ansicht, dass sich Terrororganisation durch den verstärkten Einsatz von Frauen Vorteile bei der Überwindung von Sicherheitskontrollen erwarten. Fest steht, dass die Zunahme von Selbstmordattentäterinnen in diesem Jahr in direktem Zusammenhang mit Verlusten der Al Kaida-Kämpfer in der Provinz Diyala steht. So scheint es gerechtfertigt, in diesen Fällen von einer Vereinnahmung von Frauen für die militärischen Ziele der Al Kaida zu sprechen.

Zusätzlich nützt es der Al Kaida, dass Selbstmordattentäterinnen ein weit größeres Medienecho hervorrufen als Männer, deren Massaker von der Ökonomie der Aufmerksamkeit bereits deklassiert wurden. Die Terrorismusforschung lehrt, dass die Propaganda der Tat für Terrororganisationen weit wichtiger ist als der militärische Wert der Handlung selbst.

Dichotome Geschlechterbilder

Eine breite mediale Auseinandersetzung mit Selbstmordattentäterinnen ist den Drahtziehern auch deshalb sicher, weil damit dichotome Geschlechterbilder von der friedliebenden Frau und dem gewaltätigen Mann in Frage gestellt werden. Umso erschütternder wirken diese Irritationen, weil sie der gesamten Internationalen Politik zugrunde liegen, wie KritikerInnen zu Bedenken geben. (freu, dieStandard.at, 20.7.2008)