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EU-Angebot an die Bananenproduzenten: Der Zoll soll von 176 Euro je Tonne auf 116 Euro sinken.

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Die Handelsminister der EU signalisierten bei ihrem Sondertreffen Geschlossenheit: Man vertraue EU-Kommissar Peter Mandelson, der in den vergangenen Wochen vom EU-Ratspräsidenten, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, heftig kritisiert wurde. Mandelson überschreite sein Mandat und trage durch seine neoliberale Position auch Mitschuld am Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon, hieß es aus Paris. Mandelson sagte dazu, Sarkozy schwäche so die Position der EU in den ab heute laufenden Verhandlungen in Genf.

Sarkozy hatte sich vehement gegen die Senkung von EU-Schutzzöllen gewandt. Dies würde in Zeiten steigender Lebensmittelpreise weniger Produktion und den Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen oder mehr bedeuten, sagte er. Diese Zahlen wurden von Experten einhellig zurückgewiesen. Allerdings sprachen auch die EU-Handelsminister von einem "engen Mandat" für Mandelson.

Chancen für den Durchbruch

Österreichs Vertreterin beim EU-Ministerrat, die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Christine Marek, sagte, Peter Mandelson sehe die Chancen für einen Durchbruch bei 50 zu 50. "Ich würde es durchaus kritischer sehen."

Kommt keine Einigung zustande, gibt es die nächste Chance erst wieder 2010. Denn diesen Herbst gibt es Präsidentschaftswahlen in den USA, im Frühling 2009 wählt Indien, und im Frühsommer gibt es Wahlen zum EU-Parlament und im Herbst eine neue Kommission.

Stunde der Wahrheit

Und die Gefahr, dass in der Zwischenzeit vor allem die USA mehr auf bilaterale Abkommen setzen, steigt, und das verringert gleichzeitig die Chancen, überhaupt noch eine WTO-Einigung zu erreichen.

"Die Stunde der Wahrheit für die Runde ist gekommen", sagt auch der Generaldirektor der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy. "Falls wir in Genf keine Einigung erzielen, sinken die Chancen auf einen neuen Welthandelsvertrag unter 50 Prozent." Mandelson befürchtet: Falls sich die Streithähne nicht auf konkrete Regeln für die komplexe Liberalisierung der Agrar- und Industriegütermärkte einigen, wäre die sogenannte Doha-Runde praktisch kollabiert.

Aggressive Stimmung

Wie aggressiv die Stimmung ist, demonstrierte kurz vor Beginn der Beratungen Brasiliens Außenminister Celso Amorim mit einem Nazi-Vergleich: Die westlichen Industriestaaten bedienten sich der Täuschungstaktik des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, giftete Amorim. Der Sprecher der US-Handelsbeauftragten Susan Schwab verurteilte die "beleidigenden und unglaublich falschen" Äußerungen. Schwab stamme von Holocaust-Überlebenden ab, sagte er. Amorims Sprecher bat später um Entschuldigung. In Genf steht besonders für westliche Exportländer wie Österreich viel auf dem Spiel. Österreichs Firmen verkauften 2007 Waren im Wert von mehr als 162 Milliarden US-Dollar ins Ausland.

Neue Absatzmärkte

Eine weitere Senkung der Einfuhrbarrieren auf fremden Märkten würde neue Absatzmärkte erschließen: Wien und die Partner in der Europäischen Union verlangen vor allem von den großen Entwicklungsländern wie Indien, China, Brasilien und Thailand mehr liberale Politik. Die Länder des Südens sollen ihre Märkte für die Industrieprodukte und Dienstleistungen aus dem Norden öffnen - auch die USA und Japan verlangen das. Beispiel Thailand: Das Königreich schlägt auf importierte Autos Zölle bis zu 80 Prozent, die Thais verteuern besonders deutsche Karossen. Beispiel Brasilien: Die Südamerikaner behalten sich das Recht vor, auf eingeführte Maschinen einen Zoll in Höhe von über 32 Prozent zu erheben.

Doch die Reichen stoßen auf taube Ohren. Seit dem Beginn der Verhandlungen 2001 in Doha, der Hauptstadt des Scheichtums Katar, bleibt der Grundkonflikt zwischen Nord und Süd ungelöst: Die Gruppe der führenden Entwicklungsländer (G20) um Indien und Brasilien will erst dann die Märkte für die Industrieprodukte öffnen, wenn der Norden seine üppigen Hilfen für die Landwirtschaft konsequent stutzt. Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bezogen die Landwirte der reichen Länder allein im Jahr 2006 direkte und indirekte öffentliche Hilfen in Höhe von 214 Milliarden Euro.

Wenig Chancen

Die Bauern des Südens haben offensichtlich auf den Agrarmärkten des Nordens wenig Chancen. Auch der jüngste WTO-Vorschlag für die Öffnung der Agrarmärkte überzeugt die G20 nicht. "Das ist ein Schritt zurück und hätte ernsthafte Konsequenzen für unsere Interessen auf den Märkten der reichen Nationen", formuliert Brasiliens Außenminister Amorim. Brasilien gehört zu den führenden Exporteuren von Agrarprodukten wie Fleisch, Kaffee und Obst.

Nath und andere Spitzenvertreter der Entwicklungsländer verweisen auf die offizielle Mission der Welthandelsrunde: Die Runde, auch Doha-Entwicklungs-Agenda genannt, soll helfen, die Entwicklungsländer besser in die Globalisierung einzubinden. Was bisher nicht geschah: Die 50 ärmsten Länder der Welt kommen nur auf einen Anteil von 0,2 Prozent am gesamten Welthandel mit verarbeiteten Produkten. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, Michael Moravec aus Brüssel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.7.2008)