Allan Sekula, aus der Serie Waiting for Tear Gas (1999/2000) - Aufgnommen nach den Prämissen "teilnehmender Beobachtung".

Foto: Generali Foundation

Jens Kastner, Bettina Spörr (Hg.): nicht alles tun. Ziviler und Sozialer Ungehorsam an den Schnittstellen von Kunst, radikaler Politik und Technologie, 195 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978-3-89771-481-6

Cover: Unrast/Susi Klocker

"Kein Blitz, keine Zoomteleobjektiv, keine Gasmaske, kein Autofokus, kein Presseausweis und kein Druck, auf Teufel-komm-raus das eine definitive Bild dramatischer Gewalt einzufangen." Die Arbeitsprämissen des US-Amerikanischen Fotografen und Fototheoretikers Allan Sekula bei der Dokumentation der globalisierungskritischen Proteste in Seattle (1999) sind nur eine von zahlreichen Spielarten widerständiger künstlerischer Handlungsfelder, die im Sammelband und Ausstellungskatalog nicht alles tun behandelt werden.

Ungehorsam

Die Herausgeber, Jens Kastner und Bettina Spörr, zeichnen in der Publikation ein Bild dessen, was es in Zeiten von Globalisierung, neoliberaler Sozialpolitiken und immer prekäreren Lebenssituationen dem Individuum so schwer macht, politisch zu handeln, ohne dabei die Systeme zu affirmieren, die sich nur ungern als verantwortlich für die gegenwärtige Situation zeigen. Zeitgenössische Kunst, die sich entlang der feinen ästhetischen Schnittstelle von sozialen Bewegungen und politischem Aktivismus entwickelt, ist in diesem Kontext aber nicht nur als Begleiterin und Illustratorin widerständigen Handelns zu verstehen.

Bezugnehmend auf die Schrift des Philosophen Henry David Thoreau mit dem programmatischen Titel Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (1849) differenzieren insgesamt sieben Beiträge ein breites Themenfeld aus, das als sozialer und ziviler Ungehorsam bezeichnet wird. Mit Arbeiten von KünstlerInnen wie Zanny Begg, Oliver Ressler, dem Critical Art Ensemble, den Surveillance Camera Players, dem Büro Bildwechsel und nicht zuletzt Allan Sekula liegt der kuratorische Fokus in nicht alles tun vor allem auf dem Entwurf einer handlungsbetonten und in der Kunst- und Mediengeschichte verankerten Formensprache, die heute genauso zum Repertoire performativer Kunst wie zu dem des politischen Aktivismus zählt.

Gegenwart

Ziviler und sozialer Ungehorsam sind keine neuen Phänomene. Die Begriffsgeschichte wird in einem Text von Lou Marin, Herausgeber der Zeitschrift graswurzelrevolution, an unterschiedlichen historischen Etappen wie den antikolonialistischen und Bürgerrechtsbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgemacht. Die gewaltfreien Proteste der 1968er, die Solidaritätsbekundungen gegenüber zapatistischen Guerillaorganisationen und die globalisierungskritischen Proteste der vergangenen zwei Jahrzehnte gehören aber ebenso dazu, wie elektronische Formen des zivilen Ungehorsams seit Mitte der 1990er Jahre. Den Bogen von Henry David Thoreaus Aufruf, sich passiv gegenüber ungerechten Gesetzen zu verweigern und gleichzeitig aktiv damit zu brechen, spannen die Herausgeber von den gewaltfreien Aktionen Ghandis in Indien bis herauf in die Gegenwart des Internet.

Asymmetrie

"Asymmetrie als Schlüssel zu revolutionärem Denken und Handeln" ist jene These, mit der sich John Holloway in seinem Beitrag Poesie und Revolution explizit für eine Gratwanderung zwischen Kunst und Politik ausspricht. Nicht Gewalt gegen Gewalt oder Macht gegen Macht, sondern eine "Sprache der Würde" wird von dem in Mexiko lebenden Autor und Politikwissenschafter gefordert. Diese solle sich zwar in Begriffen ausdrücken, um verstanden und kritisiert werden zu können, gleichzeitig müsse sie aber auch "über das Begriffliche hinausgehen" und nach "einer anderen Form des Ausdrucks" Ausschau halten.

Ihre weniger poetische dafür aber konkretere Argumentation für zivilen und sozialen Ungehorsam im Medium Internet untermauert Inke Arns mit Erläuterungen über Software: Der Code zeichne sich - so die künstlerische Leiterin des Hartware MedienkunstVereins in Dortmund - durch seine Handlungsfähigkeit aus, da in ihm Sagen und Tun zusammenfallen. Code als handlungsfähiger Sprechakt ist keine Beschreibung oder Repräsentation von etwas, sondern "affiziert direkt, setzt in Bewegung und zeitigt Effekte", oder: "Code macht das, was er sagt." Auf die selbst gestellte Frage wie sich widerständige Taktiken in der transparenten Welt globaler Kommunikation realisieren können, beschreibt die Autorin zum einen das Sichten, Kartografieren und Intervenieren in die Strukturen der Überwachungs- und Informationslandschaft und zum anderen die Überaffirmation dieser Strukturen mit dem Ziel durch maximale Sichtbarkeit ihr Verschwinden heraufzubeschwören.

Imperativ

Ob sich Ungehorsam nun als "Imperativ" äußert, der Verweigerung und Bruch in sich vereint, oder als ästhetische, körperliche und mediale Praxis, um bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu visualisieren und konterkarieren, nicht alles tun ist ein stringenter Beitrag zur Diskussion von Kunst als Medium politischen Handelns und Medien als politisches Betätigungsfeld. Mit einem historischen Überblick über soziale Bewegungen und deren Transfer in das System Kunst, wird klar, dass Widerständigkeit nur als eine "Mikropolitik" politisch-ästhetischen Handelns und nur im jeweiligen Handlungskontext der Protagonisten betrachtet werden kann. Genauso "konkret, situativ und relational" wie also der Charakter zivilen und sozialen Ungehorsams dargestellt wird, liest sich auch der Sammelband und Ausstellungskatalog. (fair, derStandard.at, 04.08.2008)