Ist bereits seit Millionen von Jahren chronisch dem Palmbier zugeneigt: das Federschwanzspitzhörnchen.

Ist bereits seit Millionen von Jahren chronisch dem Palmbier zugeneigt: das Federschwanzspitzhörnchen.

Bayreuth - "Kein Tier soll Alkohol trinken." So lautet das fünfte Gebot des Animalismus in George Orwells Farm der Tiere. Wie das bei den Zehn Geboten so üblich ist, halten sich auch im Tierreich nicht immer alle daran. Animalischer Alkoholmissbrauch ist unter anderem bei Elchen bekannt und berüchtigt.

Wenn Beerensaison ist, kann es schon vorkommen, dass die schwedischen Nationaltiere aufgrund der mitunter vergorenen Früchte ab und an ausfällig werden und ihnen eher nicht nahegekommen werden soll.

Legendär sind auch Elefanten-Gelage im Kruger-Nationalpark in Südafrika. Die Elefanten stopfen die überreifen Beeren des Marulabaums - aus denen im Übrigen auch ein gleichnamiger Baileys-artiger Likör für Menschen hergestellt wird - in großen Mengen in sich hinein. Angeblich produziert die Fermentation im Magen der Tiere ausreichend Alkohol, um die Dickhäuter betrunken durch die Gegend marodieren zu lassen.

Der deutsche Biologe Frank Wiens von der Universität Bayreuth hat an diesen Geschichten indes so seine Zweifel: sie seien nur von anekdotischer Evidenz und jedenfalls nicht genau wissenschaftlich untersucht.

Chronischer Alkoholkonsum ...

Zudem kann Wiens nun mit dem ersten skrupulös dokumentierten Fall von chronischem Alkoholkonsum unter Säugetieren aufwarten: Mit Kollegen kam er dem im malaysischen Dschungel lebende Federschwanzspitzhörnchen auf die Spur. Wiens und Kollegen konnten beobachten, wie das Säugetier, dass in etwa doppelt so groß ist wie eine Maus, die Nächte damit verbringt, vergorenen Nektar der Bertam-Palme zu suchen. Dabei wendet der nahe Verwandte unserer Vorfahren mehr Zeit für das Trinken des Palmnektars auf, als für die Suche nach irgendeiner anderen Nahrung.

Verfügbar ist das stark riechende Nektarbier das ganze Jahr hindurch. Mit einem Alkoholgehalt von bis zu eindrucksvollen 3,8 Prozent, knapp so viel wie Bier, weist der Nektar der Blütenknospen den höchsten Alkoholgehalt auf, der jemals in einem natürlichen Nahrungsbestandteil gefunden wurde.

Das Forscherteam konnte in den Haaren der Federschwanzspitzhörnchen hohe Konzentrationen des Indikators für chronischen Alkoholkonsum zeigen. "Verglichen mit dem Menschen müssten die Tiere bei ihrem Konsum jede dritte Nacht betrunken sein", schreiben die Forscher in der aktuellen Online-Ausgabe des Wissenschaftsblattes PNAS.

... ohne besoffen zu sein

Dennoch konnten sie bei den Kleinsäugern keinerlei Anzeichen von Trunkenheit feststellen. Die Tiere können den Alkohol wahrscheinlich effektiver abbauen als andere Säuger, so Wiens im Gespräch mit dem STANDARD.

Es ist damit der erste Nachweis von chronischen Alkoholkonsums bei wilden Säugetieren und stellt Wissenschafter vor neue Tatsachen. Bisher gingen die Theorien zum Alkoholismus davon aus, dass die Menschheit und ihre Ahnen vor der Erfindung von Bier vor etwa 9000 Jahren entweder gar keinen Alkohol oder nur sehr geringe Dosen in unreifen Früchten gewohnt waren. Federschwanzspitzhörnchen dürften sich wahrscheinlich schon seit 55 Millionen Jahren am Palmbier laben.

Die Erkenntnis, dass ein regelmäßig hoher Alkoholkonsum wahrscheinlich schon sehr früh in der Evolution der Primaten vorkam, ist für die Biologen überraschend. "Alles deutet darauf hin, dass es sich hier um eine stabile ökologische Beziehung zwischen Pflanze und Tier handelt", meint Wiens und geht davon aus, das neben der Bestäubung der Pflanze durch die Tiere unter dem Strich auch für die Säuger ein positiver psychologischer Effekt steht.

In weiteren Studien will das Biologenteam um Wiens jetzt dafür Belege suchen. Die Forscher hoffen, dadurch auch das menschliche Trinkverhalten besser verstehen zu lernen. (Johanna Kober/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 7. 2008)