Paläoanthropologe Markus Bastir hat seit kurzem eine begehrte Forschungsstelle in Spanien.

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Andere wären wohl schreiend davongelaufen, Markus Bastir war begeistert. Als er beim Wandern auf Teneriffa in einer Höhle herumstöberte, stieß er auf Knochen der Guanchen, der kanarischen Ureinwohner, die mehrere hundert Jahre alt waren. "Dieses Erlebnis des Findens ist sehr intensiv", und zwar so intensiv, dass Bastir die Drumsticks an den Nagel hängte (er hatte sich nach der Matura mehrere Jahre lang als Berufsmusiker versucht) und ein Biologiestudium an der Uni Wien begann.

Das nächste Initialerlebnis gab es bei einem Erasmusstudienjahr in Madrid: eine Exkursion zu den Ausgrabungen im nordspanischen Atapuerca, einer der bedeutendsten Fundstellen hominider Fossilien in Europa. Nun war klar: Er würde sich auf Paläoanthropologie spezialisieren.

Nach dem Diplom in Wien ging es zurück nach Madrid - der Liebe wegen. Er wäre auch Lastwagen gefahren, aber es fügte sich auch wissenschaftlich alles bestens. Bis 2006 forschte er in Atapuerca, seither in El Sidrón in Asturien, der größten Neandertalerakkumulation auf der Iberischen Halbinsel, wobei Bastir, wie andere Paläoanthropologen auch, nur vier bis sechs Wochen im Jahr gräbt. Die meiste Zeit verbringt er vor dem Rechner, dort sind die Fossilien in Bits und Bytes verwandelt. Mithilfe der Computertomografie lassen sich 3-D-Modelle herstellen, Schädeldecken und Jochbeine drehen, wenden und verformen, durchleuchten, vermessen und statistisch auswerten.

"Virtuelle Anthropologie"

Bastir nutzt diese Möglichkeiten der "Virtuellen Anthropologie", um Fragen der Evolutionsbiologie nachzugehen - er erforscht, wie sich ein einzelner Organismus vom Embryo bis zum Erwachsenen entwickelt und wie sich das im Laufe der Evolution verändert hat. Bastir untersucht die Entwicklungsvorgänge, die Schädel und Gesicht formen. Der Schädel ist eine "modulare Struktur", manche Teile sind frei in ihrem Wachstum, andere hängen vom Wachstum des Gehirns ab. Bastir zeigte, dass der Schläfenlappen (der Sitz von Lernen, Sprache und Langzeitgedächtnis) beim Homo sapiens größer war als bei den Neandertalern. Dies hat vermutlich auch je nach Art zu anderen Gesichtern geführt.

Bastir (39) forscht schon seit fast zehn Jahren an der Abteilung für Paläobiologie am Museo Nacional de Ciencias Naturales in Madrid, einer Einrichtung des CSIC, eine am ehesten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vergleichbaren nationalen Forschungseinrichtung, unterbrochen nur durch ein zweijähriges Postdoc im britischen York. Bis Ende Mai war Bastir bei Evan angestellt, dem European Virtual Anthropology Network. Ziel von Evan ist, Methoden der Virtuellen Anthropologie für die Medizin fruchtbar zu machen. Bastir und seine Kollegen arbeiten mit Kieferorthopäden zusammen.

Wer Kindern Zahnspangen einsetzt, muss das Kieferwachstum und sein Verhältnis zur Schädelbasis kennen. Der Vergleich mit Neandertalern hilft. Am 1. Juni hat der Wiener eine der in Spanien begehrten "Ramon y Cajal"-Stellen angetreten. Nach Österreich wird er so schnell nicht zurückkehren. - "Aber man weiß ja nie." (Oliver Hochadel/DER STANDARD, Printausgabe, 30.7.2008)