Ein BMW 328 auf der Ennstal Classic 2008

Foto: derStandard/Kucera

I.
Am Ende der brutalen Ennstal Classic Rallye, die der Halbgebildete Ennstal-Classic und der Wissende Die Ennstal nennt, steht der Verlust von Erinnerung. Berühmte Schauspieler und Fotografen wie Klaus und Jost Wildbolz blödeln darüber. Man wird das aber noch ernsthaft diskutieren müssen. Man wird auch erklären müssen, was diese „nunmehr wichtigste Motorsportveranstaltung Österreichs“ (Michael Krammer, CEO des Generalsponsors „one,“ demnächst „Orange“) wirklich ist. Aber fürs Erste springen wir gleich in den Donnerstag, 9 Uhr morgens, zwei Stunden vor dem Start einer dreitägigen Rallye-Marter, die zwei Sadisten für zweihundertfünf Masochisten erfunden haben.

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II.
Gröbming, 9 Uhr, die Marktgemeinde liegt in tiefem Unfrieden. Fremde Menschen schleichen zur Fifth Avenue, der langen Geraden zwischen der Startrampe beim „Hotel Post“ und dem Sir-Stirling-Moss-Kreisverkehr. Sie versuchen, ihre greisen Autos zärtlich zu wecken, wie Maultiere, die sie später über die steilsten Saumpfade an den Grenzen Steiermark-Kärnten-Salzburg tragen sollen. Diese Stunde wird zur Probe im Orchestergraben und demütigt alles, was 100 Kilometer nordwestlich als „Salzburger Festspiele“ läuft.

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Die greisen Bentleys, unwirsch aus dem Schlaf gerissen, geben die tiefe Stimmlage vor. Dr. Achim v. Stutterheims Speed-Six (Bj.1928), Dr. Hans-Dieter Krönungs 4,5 ltr. Brooklands (1929), Christian Benders Le Mans Tourer (1929) und Dr. Harald Neumaerkers Speed Six Le Mans (1930) legen eine Bass-Grundlinie, wie ihn keine Wagner-Oper je kannte, tief wie das Tote Meer. Sie ist der Felsgrund aller helleren Stimmen, etwa der Alfa Romeo 6C Grand Sport Testa Fissa des niederländischen Teams Evert V.N. Louwman und Josine van Torth tot Medler.

Mit diesen schönsten Namen des Starterfeldes hören die Namen der Menschen auf. Es gelten nur noch die Stimmen der Motoren. Sie werden mit jeder höheren Startnummer jünger und lauter.

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Eine letzte Sekunde zufälliger Stille ist dem wie aus Alpträumen erwachenden, brüllenden Mercedes-Benz 500 K (1936) vergönnt, der am Ende der Rallye als technisch perfektestes Auto in der 16-jährigen Geschichte der Ennstal mit einem großformatigen Acryl-Gemälde der Künstlerin Martina Schettina belohnt werden wird, das zufällig einen luftigen Frauen-Akt über einem silbernen Mercedes 300 SL zeigt. Nach dem 500 K zerbricht jede Ordnung. Hundert Teams wärmen nun zur gleichen Zeit die Motoren vor. Frühe, luftgekühlte 911er-Porsches, die jetzt alt genug für Oldtimer-Rennen sind, prahlen mit stabilem Sofort-Start.

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Die kreischenden Obertöne der Propellerspitzen des großen Ventilators geben der Klangwolke über Gröbming einen jenseitigen Schmelz. Tobias Moretti, dem die Alfa-Leute den Museums-Competizione 750 anvertrauten, lauscht diesem Klang nach. Er sagt, er erinnere ihn an seinen Lieblingssatz: „Niemand hat je zu Gott gefleht wie Anton Bruckner in seinen Symphonien.“ Sagen wir also so: Die Ennstal in St. Gröbming ist ungefähr wie Bruckner in St. Florian.

Tipp für die klugen Leserinnen und schönen Leser des Standard: Vergönnen Sie sich die grandiose Symphonie der halbwarmen Oldtimer vor dem Start und fahren Sie dann zu einer Serpentine der Nockalm voraus, um dort den Klang aller Autos einzeln zu hören. Diesen Dualismus von schmutziger Summe & scharfem Detail kann keine Oper bieten.

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>>> Zwei Sadisten, zweihundertfünf Masochisten

III.

Zwei Sadisten, zweihundertfünf Masochisten. Die zwei kreativen Perversler hören auf Helmut Zwickl und Michael Glöckner. Sie sind die Gründer. Sie werden nun auch in Gröbming geliebt. Anfangs hielt nur die legendäre, modern denkende Bürgermeisterin Hanni Gruber zu ihnen.

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Die zweihundertfünf Selbstgeißler hören auf unauffällige Namen wie Hanson & Deutinger (Startnummer 1, Sunbeam TT, Bj.1921) bis Kristen & Co (Startnummer 205, Jaguar-E-V12, Bj.72). In dem halben Auto-Jahrhundert zwischen dem ersten und letzten Starter finden wir 203 Ladies und Gentlemen, die teils weltberühmt, teils national berühmt oder wenigstens innerhalb ihrer Kleinfamilien leidlich bekannt sind.

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Alle zahlen 1800 Euro, um sich und ihrem Auto endlich wieder weh zu tun. Sie kriegen dafür drei faire Chancen:

  • Den ersten Tag mit dem weltweit mörderischsten Oldtimer-Steilhang, dem Stoderzinken, der zum Bleiguss-Silvester unersetzlicher Motoren wurde, und dem gleichfalls mörderischen „one-Nachtprolog rund um den Dachstein,“ der 220 Kilometer im Funsellicht alter Scheinwerfer verlangt. Bei Regen bist du praktisch todgeweiht.
  • Den one-Marathon am Freitag, die Königsetappe über 613 Kilometer und fünf krasse Alpenpässe, punktiert durch enge 50-km/h-Sonderetappen. Zu Schrott gefahrene Lagondas und Ferraris werden dort von sachkundigen Jungbauern binnen Minuten ausgebeint und würdevoll begraben. Verblüffend viele Autos überleben allerdings. Nur die Fahrer werden nie mehr, was sie waren. Ausnahme: Dieter Quester, der längst bewies, dass sich Vitalität beliebig verlängern lässt. Er wünscht sich künftige Königsetappen mit 1226 Kilometern.
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  • Das gefällt dem Gründer und Ober-Perversler Helmut Zwickl gut. Seine Philosophie geht dahin, dass du dich nur an das erinnerst, was grausam war. Zum Lohn wurde er – die anwesende Familie Zwickl heulte zu dritt wie dreihundert Werwölfe – indirekt zum besten Formel-1-Berichterstatter aller Zeiten ernannt, vom legendären Club der ehemaligen Formel-1-Helden, zu dessen neuem, blutjungem Präsidenten Jochen Mass erhoben wurde, der die Ennstal grundsätzlich auf den besten Mercedes-Museums-Stücken fährt, und ausschließlich mit dem Schriftsteller Herbert Völker, der als Einziger jede bisherige Ennstal beschrieb, und dies als Bester.
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  • Den abschließenden Chopard-Grand-Prix am Samstag, benannt nach der Uhrenfirma, die nach der Mille Miglia nun auch Die Ennstal als „Mille Miglia der Berge“ zum Ritter schlug. Der Event selbst ist infam. Die Fahrer, körperlich wie geistig schwer versehrt durch die Vortage, müssen drei Lichtschranken auf die Hundertstelsekunde durchbrechen. Bei bisher dreizehn Ehe-Teams führte dies zu zwölf Scheidungen.

>>> Von Höllen und Höhlen


IV.
Im Vorjahr ersetzte meine Herzallerliebste den bewährten Co-Piloten Peter Ernst Allmayer-Beck, der als Buchverleger der „Bibliophilen Edition“ im Ausland gefragt war. Martina zog sich trotz glänzender Performance gern in die Wellness-Höhlen des Landhauses St. Georg zurück. Sie hatte die Höllen der Ennstal kennengelernt. Der Gentleman Allmayer-Beck kehrte als silberner Ritter zurück. Er navigierte unser unersetzliches Mobil fehlerfrei ans Ziel, das erste Auto mit Wankel-Motor, den offenen Einscheiben-Wankel-NSU-Spyder, der trotz konzeptionsbedingt kleinem Drehmoment auf die mörderische Ennstal losgelassen wurde.

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Es war die bisher größte Belastung seines 40-jährigen Lebens. Ah, Baujahr 1968! Studenten-und Arbeiterrevolution! Logisch revolutionsrotes Blech, erstklassiges manuelles Verdeck, zirka 65 PS und 160 km/h v-max, und geliebt von allen Jünglingen, Frauen und Kindern in den Etappenorten. Im entzückenden Etappenort Rottenmann hoben sie den noblen Lamborghini 400 GT meines Freundes Robert Engstler in eine Sackgasse (er wurde trotzdem glänzender 27ster), um uns schneller berühren zu können.

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Wo der Wankel hochdrehen konnte, hielt er auch mit seinen Brüdern NSU-TT mit 1200ccm-Vierzylinder mit. Und dort, wo nicht, setzte sich der zweite Wankel dieser Ennstal, der Mazda Cosmo Sport, brüderlich ein, glänzend kontrolliert von Franz und Ferdinand Marko.

„Audi Tradition“ unter Thomas Frank, mit Ideal-Assistenz von Timo Schiemer und Albert Keicher, hat der Ennstal 2008 ein Highlight beschert. Einen geliebten David, der viele Riesen bezwang. Viel zu viele. Allmayer und ich vermeiden Ränge unter 150, so gut es geht. Wir wurden peinlich gute 141ste. Wir landeten in der Streber-Liga. Ich schiebe die Schuld auf meinen Navigator. Er hatte erstmals einen Tripmaster an Bord, war daher Herr der Entfernungen. Nicht auszudenken, wenn er eines Tages die Stoppuhr nützt, oder gar Schritt-Tabellen anfertigt für die 50 km/h-Etappen. Er wankelt schon. Ich hoffe, ich kann ihn rechtzeitig bremsen.

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