Legendäre Gründerväter der Postmoderne und des Punk: Robert Grey, Colin Newman und Graham Lewis alias Wire und ihr dringliches wie reifesAlterswerk "Object 47".

Foto:Malka Spigel/Pink Flag

Wien - Die britische Band Wire zählt seit über einem Vierteljahrhundert wohl auf ewig zu den großen unbedankten Innovatoren im Geschäft. Anders als bei einfacher gestrickten (Punk-)Zeitgenossen wie etwa den Sex Pistols oder den Stranglers wird zwar seit dem legendären Debüt Pink Flag aus dem Jahr 1977 mit großer Konsequenz an einer Vermählung von kopflastigen Theorien der Kunsthochschule mit derben und einfachen Sounds eines Rock 'n' Roll der Straße gearbeitet. Sprich: Ursache und Wirkung sollten in dieser streng konzeptuell und intellektuell weitab gängiger Musikklischees arrangierten Welt niemals zu weit voneinander entfernt liegen.

Das hatte heutige scheinbar dilettantisch und "einfallslos" konzipierte, dafür aber mit umso größeren Nachdruck eingespielte Songs wie die frühen Kracher 12 X U, I Am The Fly oder I Should Have Known Better, Heartbeat und Our Swimmer zur Folge.

Ehrlich gilt nicht

Allesamt firmieren diese mitunter beängstigend emotionslos in einem hybriden Cockney-Slang vorgetragenen Stücke als Klassiker. Deren bewusste Ver- und Entfremdungsstrategie, zusätzlich verstärkt auch noch durch zahllose Effektgeräte und Distortion-, Flanger- und Chorussounds weitab der "ehrlichen" schwarzamerikanischen Rock-'n'-Roll-Wurzeln des Pop, sie gelten seit einigen Jahren bei spätgeborenen FM4-Helden wie Franz Ferdinand, Maximo Park, Radio 4 und unzähligen anderen am Flohmarkt oder bei iTunes kaufenden Nachwuchsmusikern als Nonplusultra. Und auch die frühe Weigerung, einmal auf Platte veröffentlichte Lieder live auf Gastspielreise eins zu eins nachzustellen, zeitigte zumindest damals kurzfristig Wirkung.

Wire nahmen lieber in immer neuen genialischen Skizzen die Grenzen des ohnehin nur mit rudimentärem Interesse verfolgten Songwritings mit all seinen Formularen zwischen Strophe, Refrain und dynamischer Entwicklung betont unbeeindruckt auf und entwickelten sie weiter bis zur Grenze der maschinellen Wiederholbarkeit. Sie misstrauten den falschen, weil jederzeit nachstellbaren Gemütsbekundungen des Genres gründlich. Damit war auch ein wichtiger Nebenschauplatz des später über die elektronische Musikszene entwickelten Techno gelegt. Man erinnere sich nur an Produkte wie The Ideal Copy (1987) oder The Drill (1991).

Dafür nahmen sich Colin Newman, Graham Lewis und Bruce Gilbert an den Gitarren und Schlagzeuger Robert Grey, der einmal für mehrere Jahre ausstieg, weil er meinte, ein Drumcomputer würde an seiner statt sinnvoller zum Einsatz gebracht werden können, lieber ständig Neues vor. Dass sich das Quartett privat nie riechen konnte, kam dann noch dazu.

Die ehemaligen Londoner Kunststudenten sprengten nach zwischenzeitlichen wie regelmäßigen Bandauflösungen mit Ohrfeigen und Drohbriefen bald nicht nur die kurzfristig kommerziell interessante Formation Wire. Die fand mit ihrem dritten Album 154 sogar als Virus im System einen Vertrag beim vom ideologischen Erzfeind, dem Progrock-Dinosaurier Pink Floyd, gegründeten Label Harvest einen Unterschlupf. Mit Seiten- und Nebenprojekten wie Dome erkundete man auch avantgardistisches Neuland im Bereich Ambient und Rauminstallation. Nachdem sich Wire nach einer zuletzt gut zehnjährigen Pause bis zur im Eigenverlag produzierten Read & Burn-Serie ab Anfang der 2000er-Jahre wiedervereinigt und nach einer Tour im Rahmen des triumphalen wie zeitlos-modernen Comebackalbums Send (2003) ein Jahr darauf nach einer Welttournee wieder einmal aufgelöst hatten sowie Colin Newman das Nachfolgeprojekt Githead gegründet hatte, versucht man nun mit der CD Object 47 einen Neustart.

Der für den singulären Wire-Sound zuständige Gitarrist und Soundskulpteur Bruce Gilbert verweigert mit 62 Jahren ab sofort zwar endgültig den Dienst. Er mag wieder einmal mit seinen zehn Jahre jüngeren Kollegen absolut nie wieder etwas zu tun haben. Was zu unschönen Nebenerscheinungen wie jenen führt, dass Gilbert aus den Kompositions-Credits von Object 47 gestrichen wurde, an dem er entscheidend mitarbeitete.

Mit der neuen, von den britischen Wire-Verehrern Laika ausgeborgten Tourgitarristin Margaret Fiedler McGinnis, die auch schon für PJHarvey arbeitete, befindet man sich allerdings jetzt wieder auf einer Österreich umgehenden Tour. Und die neuen Songs erweisen sich ohne den gestrengen Avantgardisten Gilbert trotz aller gewohnter Harschheit und Dringlichkeit in einem konventionellen Popsinn zugänglicher als sonst. Kryptisch getextete Titel wie One Of Us oder der an Massive Attacks Save From Harm angelehnte Song Hard Currency sprechen eine eindeutige Sprache. Ehret das Alter! (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 01.08.2008)