SPÖ-Chef Werner Faymann spekuliert und hofft bereits auf die Zeit nach dem Wahlkampf - wenn er Kanzler ist und dennoch wieder mehr Zeit hat. Über das aus seiner Sicht heikle Thema Integration will er im Wahlkampf nur reden, wenn er danach gefragt wird. Weil die SPÖ dabei nichts gewinnen könne, sagt er.

Fotos: Corn

"Ich weiß, dass die Ansage gegen die FPÖ ein schwerer Fehler ist – aus taktisch-mathematischen Gründen. Aber es ist eben kein moralischer und kein politischer Fehler. "

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Werner Faymann kann gar nicht genug gelobt werden, da hat der Infrastrukturminister und SPÖ-Chef keine Schmerzgrenze. Kritik hält er in bescheidenerem Rahmen aus. Mit Faymann sprach Michael Völker.

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STANDARD: Haben Sie jemals eine andere Partei als die SPÖ gewählt?

Faymann: Nein. Ich habe nie eine andere Partei gewählt, weil ich ja in jungen Jahren schon engagiert war. Ab 1981 war ich Vorsitzender der Sozialistischen Jugend Wien.

STANDARD: Im jugendlichen Übermut haben Sie nie mit Kommunisten, Marxisten, Anarchisten oder Maoisten sympathisiert?

Faymann: Nein. Im Gegenteil. Ich habe in der Sozialistischen Jugend immer jenem Flügel angehört, der eine strenge Trennung zu diesen Gruppierungen befürwortet hat.

STANDARD: Also immer brav auf Parteilinie.

Faymann: Das kann man nicht sagen. Ich war gegen Kernenergie, ich war mit Josef Cap gemeinsam für den Privilegienabbau, ich war gegen den Export von Panzern, war in der Friedensbewegung stark engagiert, das war nicht auf Parteilinie.

STANDARD: Wer war der erste SPÖ-Chef, dem Sie Ihre Stimme gegeben haben?

Faymann: Das war 1978, der Parteitag mit Bruno Kreisky. Da habe ich Kreisky unterstützen dürfen. Diese Zeit habe ich sehr intensiv in Erinnerung.

STANDARD: Bei welchem SPÖ-Chef sehen Sie am ehesten Parallelen zu sich selbst? Gibt es ein Vorbild?

Faymann: Vorbildlich waren die 70er-Jahre, als Bruno Kreisky die Reformen vorangetrieben hat. Aber sonst soll man sich nicht zu sehr vergleichen. Da begibt man sich in die Gefahr der Nachahmung. Jeder soll so sein, wie er ist.

STANDARD: Lesen Sie noch Zeitungen oder nur den Pressespiegel, den Ihnen Ihre Mitarbeiter vorlegen?

Faymann: Ich lese praktisch keinen Pressespiegel, den schau ich nur so durch. Ich lese bewusst viele Zeitungen. Ich habe gerne das Papier in der Hand. Ich gehöre nicht zu der Generation, die im Internet Zeitungen liest.

STANDARD: Und was lesen Sie? Nur die Politik auf der Suche nach dem eigenen Namen?

Faymann: Ich lese Politik, oft Kultur, sehr selten Sport. Wenn ich zu Hause in der Früh ein bisschen Zeit habe, fange ich meistens mit der Krone an. Aber den STANDARD lese ich natürlich auch.

STANDARD: Wenn Sie über sich lesen, fühlen Sie sich richtig getroffen und richtig wiedergegeben?

Faymann: Überwiegend ja. Ich gehöre zu jenen Politikern, die sich nicht über Medien ärgern. Oder nur im Rahmen. Manchmal gibt es Kommentare, da denke ich mir, na wumm, das ist aber falsch. Mehrheitlich passt es aber.

STANDARD: Besonders, wenn es in der "Kronen Zeitung" steht, oder?

Faymann: Auch bei Ihnen. Es hat zwar eine Phase gegeben, da habe ich mich im STANDARD missverstanden gefühlt. Egal was man bei den ÖBB macht, im STANDARD findet man nie jemanden, der das freundlich wiedergibt.

STANDARD: Und die Lobhudelei in der "Krone" ist Ihnen nicht peinlich?

Faymann: Kreisky hat einmal gesagt: "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Lob man vertragen kann." Ich freu’ mich, wenn ich gelobt werde.

STANDARD: Sie sind mit "Krone" -Herausgeber Hans Dichand befreundet, mit "Österreich" -Chef Wolfgang Fellner und mit dem Geschäftsführer von "Heute" ...

Faymann: Ich bin mit hunderten Menschen befreundet!

STANDARD: Ist das Zufall, dass Sie derart lückenlos den Boulevard abgedeckt haben? Da drängt sich der Verdacht auf, diese Freundschaften sind strategisch ausgerichtet.

Faymann: Ich habe auch in anderen Medien Freunde. Ich weiß nur nicht, ob die wollen, dass man sie nennt. Ich habe in meiner Wiener Zeit viele aus dem ORF kennengelernt, die heute in führenden Funktionen sind. Bei der ersten Schülerzeitung, die ich gemacht habe, haben die Fellners gerade ihren Rennbahn Express gemacht. Da trifft man sich, da kennt man sich. Da gibt es Freundschaften, die halten über viele Jahre. Ich lege auch viel Wert darauf, mich um Freunde zu kümmern. Da sind natürlich viele dabei, die nicht so spektakulär sind wie die, die Sie genannt haben.

STANDARD: Kommen Sie überhaupt noch dazu, diese Freundschaften zu pflegen?

Faymann: Im Moment praktisch gar nicht. Früher ging das leichter, da habe ich viel Zeit mit Freunden verbracht. Jetzt leidet meine Beziehung zu meiner Familie, zu meiner Frau, zu den Kindern, zu den Freunden. Jeden Tag kommt etwas noch Wichtigeres zum Wichtigen dazu. Aber es wird nicht immer Wahlkampf sein.

STANDARD: Wenn es aus Ihrer Sicht gut geht, dann werden Sie als Bundeskanzler auch nicht gerade einen Lenz haben.

Faymann: Das ist jetzt eine extrem schwierige Zeit. Ich habe schon vor, nach einem Wahlerfolg, auf den ich sehr hoffe, wieder etwas mehr Ordnung in mein Leben zu bringen.

STANDARD: Wie flexibel sind Sie im Wahlkampf? Sie stimmen der 13. Familienbeihilfe zu und einem Gratis-Kindergartenjahr. Was geht sonst noch alles vor der Wahl?

Faymann: Ich freue mich über den ÖVP-Antrag auf eine 13. Familienbeihilfe, dem werden wir zustimmen. Aus meiner Sicht geht aber noch mehr. Ich bin dafür, noch vor der Wahl die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von zehn auf fünf Prozent zu reduzieren.

STANDARD: Im Wahlkampf thematisieren alle Parteien auf irgendeine Weise Ausländer, Migration und Integration. Nur die SPÖ nicht. Sie haben auch eine Kluft in Ihrer Wählerschaft: Auf der einen Seite eine vorurteilsbeladene Klientel im Gemeindebau, eine gewisse Ausländerfeindlichkeit in der Arbeiterschaft, wo die Angst um den Job im Vordergrund steht. Auf der anderen Seite gibt es die Linksintellektuellen, die liberal und engagiert sind. Sind Ausländer für die SPÖ deshalb ein Angstthema?

Faymann: Es ist tatsächlich so, dass hier innerhalb der SPÖ ein breites Meinungsspektrum existiert. Ein Fixpunkt ist, dass man sich gerade als Sozialdemokrat besonders für die Integration der Menschen, die hier leben, einsetzt. Aber natürlich gibt es verschiedene Bereiche der Betroffenheit. Es gibt die, die in einer Umgebung leben, in der sie von diesen Problemen gar nicht betroffen sind.

Es gibt in dem Sinn ja kein Ausländerproblem, das sind soziale Probleme. Ich wohne in einer kleinen Arbeitersiedlung mit Einfamilienhäusern. In meiner unmittelbaren Nähe gibt es einen der Integrationsbauten, die ich noch dazu als Wohnbaustadtrat selbst gefördert habe. Wenn man dort auf den Spielplatz geht, da gibt es überhaupt keine Probleme. Der Anteil der Ausländer ist nachweislich besonders hoch, aber das sind gut integrierte Leute mit guten Jobs und Einkommen.

STANDARD: Das ist aber eine untypische Situation. Da schauts im 16. Bezirk in Wien ganz anders aus.

Faymann: Aber es ist keine Inländer-Ausländer-Frage, es ist eine soziale Frage. Und da ist es ein Unterschied, ob ich mich davon betroffen fühle oder nicht. Da gibt es tiefe Ängste.

STANDARD: Auf die Sie im Wahlkampf aber nicht eingehen.

Faymann: Meine Meinung ist da klar: Wir müssen die Integration verstärken. Die Lebensbedingungen aller, die hier leben, müssen verbessert werden. Wir müssen die Sprachkurse verstärken, wir müssen am Wohnungsmarkt etwas tun, und wir müssen am Arbeitsmarkt schauen, dass Ausländer besser integriert werden, wenn auch mit gewissen Übergangsregelungen, aber sie müssen eine Chance haben, auch zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Aber die SPÖ wird das Thema nicht hochspielen. Wenn man mich fragt, werde ich mich immer klar äußern. Aber was sollen wir dabei gewinnen, wenn ich jeden Tag über Integration rede und damit den Ball für jene aufspiele, die das Gutgemeinte umdrehen und ausländerfeindliche Parolen auf ihre Plakate schreiben?

STANDARD: Diese Parolen entsprechen aber offensichtlich der Stimmungslage vieler Leute.

Faymann: Ich habe im Gemeindebau viele Diskussionen geführt und war mit sehr direkten Meinungsäußerungen konfrontiert. Die entstehen aus dem Gefühl der Leute, dass ihnen die Arbeit und die Wohnung weggenommen wird. Es gibt Angst vor der billigen Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Diese Ängste habe ich immer gut verstanden. Aber deshalb grenze ich mich auch so stark von der Strache-FPÖ ab.

Die FPÖ versucht nicht, diese Ängste aufzuarbeiten, sondern sie verstärkt sie und hetzt die Menschen gegeneinander auf, nur um ein paar Stimmen mehr zu haben. Strache und Haider haben bewiesen, dass sie vor nichts zurückschrecken. Mit so jemandem möchte ich nicht in einer Regierung sein. Ich weiß, dass die Ansage gegen die FPÖ ein schwerer Fehler ist – aus taktisch-mathematischen Gründen. Aber es ist eben kein moralischer und kein politischer Fehler.

STANDARD: Das sehen in der SPÖ aber nicht alle so.

Faymann: Ich weiß. Und ich schätze das nicht. Es gibt bei uns Kräfte, die das strategische Kalkül in den Vordergrund stellen, die meinen, dass man sich von der Hetze nicht so abgrenzen muss, dass man ruhig auch mit der FPÖ koalieren soll. Ich sehe das anders, da bin ich strikt dagegen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.8.2008)