Susanne Schubert-Lustig: "Vielen ist nicht bewusst, was auf sie zukommt, wenn sie mit einer zusätzlichen Ausbildung beginnen."

Foto: Schubert-Lustig

"Dich sieht man ja gar nicht mehr", "Du hast ja nie mehr Zeit"- kein Wunder: Wer neben dem Job noch eine Ausbildung beginnt, muss privat zurückstecken. Vereinsamen sollte man trotzdem nicht: Susanne Schubert-Lustig, Arbeits- und Gesundheitspsychologin gibt Tipps, wie man private Durststrecken überbrücken kann – und worüber man sich im Klaren sein sollte, bevor man sich ins Lern- und Studiervergnügen stürzt.

derStandard.at: Sind sich Leute, die sich für eine weitere Ausbildung neben dem Job entscheiden, bewusst, welche Konsequenzen das für ihr Privatleben haben kann?

Schubert-Lustig: Vielen ist nicht bewusst, was auf sie zukommt. Das erste, was man daher machen sollte, ist zu versuchen, die Situation genau einzuschätzen: Welche Ressourcen habe ich, geht es sich überhaupt aus? Wie viele Stunden arbeite ich tatsächlich? Zwischen gefühlter Zeit und tatsächlich aufgewendeter Zeit besteht oft ein großer Unterschied.
Die Freizeit wird natürlich knapp und muss gut eingeteilt werden. Meistens ist es so, dass man das Privatleben während einer Ausbildung hintanstellt.

derStandard.at: Mehr Bildung, weniger Freunde?

Schubert-Lustig: Der Bekanntenkreis ändert sich während der Weiterbildung zwangsläufig – seine Freizeit verbringt man mit anderen Leuten. Dabei kann es passieren, dass der Kontakt zum alten Freundeskreis weniger wird. E-Mails oder Telefonate können persönliche Treffen zwar nicht ersetzen, lassen den Kontakt aber nicht ganz abreißen.

Man sollte seinen Freunden ehrlich sagen: Ich mache in den nächsten zwei Jahren eine Ausbildung, da habe ich wahrscheinlich weniger Zeit für euch. Da kommt es natürlich auch darauf an, wie viele Tage in der Woche man mit der Ausbildung beschäftigt ist. Es ist empfehlenswert, sich auch private Termine auszumachen, die man genauso wichtig nimmt wie Ausbildung oder Arbeit: In den Kalender eintragen und nicht verschieben!

derStandard.at: Und wie sieht es mit der Familie aus?

Schubert-Lustig: Wenn man eine zusätzliche Ausbildung beginnt, ist es ein großer Unterschied, ob man eine Familie hat, oder nur für sich selbst verantwortlich ist. Für die Familie ist es natürlich eine Belastung. Daher ist es wichtig, vorher abzusprechen, wie die Ausbildung aussehen wird – wie kann man das am besten gemeinsam bewältigen? Gibt es Unterstützung? Gibt es Verständnis dafür, dass man zum Beispiel nicht mehr bei allen Familientreffen dabei sein kann? Meistens werden Ausbildungs-Vorhaben positiv aufgenommen.
An einer Ausbildung allein zerbricht eine Familie normalerweise nicht – dafür sind meist mehrere Faktoren verantwortlich.

derStandard.at: Job, Ausbildung, Familie – das kann auch zu viel werden.

Schubert-Lustig: Wichtig sind die Pausen – das weiß man ja selbst, macht sie aber trotzdem nicht. Ein Tag hat nur 24 Stunden und die sollte man bestmöglich für sich, für die Familie und die Regeneration nutzen – das ist eine Frage des Zeitmanagements. Dabei kann es auch vorkommen, dass man sich übernimmt.

Viele, die eine berufsbegleitende Ausbildung absolvieren, tendieren dazu, ihre eigenen Grenzen nicht wahrzunehmen. Aber man kennt sich selbst am besten: Herz-Kreislaufbeschwerden, verändertes Schlafverhalten, nicht mehr abschalten können – Solche Warnsignale sollte man sehr ernst nehmen. Meistens tut es gut, die Ansprüche an sich selbst ein wenig herunterzuschrauben.

derStandard.at: Ist ein Fernstudium mit dem Privatleben besser kompatibel?

Schubert-Lustig: Was auffällt ist, dass viele Leute mit einem Fernstudium beginnen. Dafür muss man wirklich sehr diszipliniert sein. Man hat ja keine fixen Studienzeiten, sondern ist auf sich selbst angewiesen. Die Wegzeiten fallen weg, man kann von zu Hause arbeiten. Ein Fernstudium ist aber nicht unbedingt "Privatleben-freundlicher" als ein "normales" Studium: Man ist zwar zu Hause, hat aber entweder ein schlechtes Gewissen, weil man zu wenig macht; oder es ist so, als ob man gar nicht da wäre, weil man sich zurückzieht und sich konzentrieren muss.

derStandard.at: Kommt da nicht zwangsläufig die Frage: Warum tut man sich das eigentlich an?

Schubert-Lustig: Natürlich sollte man sich auch die Frage stellen, warum man diese zusätzliche Ausbildung macht. Für sich selbst, aus Interesse? In der Hoffnung auf mehr Anerkennung in der Arbeit, bessere Karrierechancen, höheres Gehalt?

Wenn man nach einer Ausbildung, die viel Zeit in Anspruch genommen hat und die teuer war, merkt, dass man beruflich damit nicht weiterkommt, die Bemühungen nicht anerkannt werden, ist das sehr enttäuschend. Deswegen sollte man sich mit dem Arbeitgeber vorher absprechen. Es kann natürlich auch passieren, dass man zu Beginn einer Ausbildung noch gar nicht abschätzen kann, was sie einem am Ende bringen wird.

derStandard.at: Nicht alle halten eine Ausbildung durch – was können Sie einem Abbrecher raten?

Schubert-Lustig: Scheitern sollte man sportlich sehen. Man sollte sich nicht selbst die Schuld zuweisen, nach dem Motto: Ich kann gar nichts, die anderen schaffen das alles. Woran ist es gescheitert, was kann ich selber tun? Vielleicht sind zu einem anderen Zeitpunkt die Bedingungen besser – die Kinder sind größer, oder man hat mehr Freiraum in der Arbeit. (Nicole Bojar, derStandard.at)