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Beherzter Krach und eine perverse Neigung zu Dolly Parton und Kenny Rogers: die Constantines aus Kanada.

Foto: AP/Sub Pop

Der vielleicht beste Song befindet sich nicht auf dem Album. Wobei "bester" verwegen formuliert ist. Ungeachtet eines treffenden Adjektivs: Parallel zum Veröffentlichungstermin ihres neuen Albums Kensington Heights über dem großen Teich, der schon gute zwei Monate zurückliegt, hat die kanadische Band Constantines eine Single veröffentlicht, die auf der Flip-Side von Trans Canada mit einer Coverversion von Islands In The Stream aufwartet. All jenen, die den Song im Original kennen, zieht es jetztmöglicherweise etwas zusammen, vondemwir gar nicht wissen wollen, was es ist. Für alle anderen: Islands in The Stream war 1983 ein weltweiter Hit des Duetts Kenny Rogers und Dolly Parton – aus der Feder der australischen Kastraten-Bruderschaft der Bee Gees. Rogers und Parton, beide Vertreter eines gebügelten, geföhnten und keimfreien Schlager-Country, kredenzten damit eine tranige Schunkelballade für Mittelklassewagenfahrer beim samstäglichen Autoputz sowie für die Ausfahrt am Sonntag – Klopapierhütchen auf der Hutablage, logisch.

Die Constantines, um wieder auf etwas Erfreuliches zu sprechen zu kommen, muss also der Teufel geritten haben, als sie sich entschlossen haben, dieses Stücks zu covern. Jedenfalls baten sie eine Freundin der Band zum Duett. Niemand anderer als die gefeierte Singer-Songwriterin Leslie Feist (hierzulande vor allem wegen des Dauereinsatzes ihres Songs I Feel It All in einer TV-Werbung bekannt) wurde ans Mikrofon geholt, in das sie gemeinsam mit Bryan Webb eine gut krankeVersion dieses Klassikers des Schreckens haucht und schmachtet. Nicht nur, dass sich das bei den Constantines und Feist natürlich alles hin zum Guten wendet: Die Constantines könnten DJ Ötzi covern und kämen damit durch. Die Kanadier sind nämlich eine der besten dieses an guten Bands nicht armen Landes.

Wobei sie sich der großfamiliären Blasenbildung, zu der viele kanadische Bands von Arcade Fire bis zu Broken Social Scene neigen, bisher weitgehend enthalten haben. Spätestens mit ihrem 2005er-Album Tournament Of Hearts war bewiesen, dass dieser Fünfer aus Guelph in Ontario mehr ist als nur die übliche, halbwegs talentierte Indie-Band. Tournament Of Hearts klang stellenweise, als wären darauf TV On The Radio aus der Provinz zugange. Vor allem der Gesang Webbs, der an einen verschnupften Peter Gabriel am Ende einer anstrengenden Nacht klingt, sowie die perkussiven Extravaganzen und der Einsatz von Lärm aus der Gitarre machen diesen Vergleich zulässig. Nach diesem – ja – Meisterwerk war erstmals eine längere Pause angesagt, in der sich die Formation von ihrem bisherigen Label Sub Pop in Freundschaft trennte, worauf sie ihr viertes Album nun beim kanadischen Verlag Arts & Crafts veröffentlicht.

Kensington Heights ist der Titel dieses Werks und geht den bisherigen Weg ein Stück weiter. Neben den bekannten, immer etwas ruppigen Rocksongs, die nie ganz auf den Groove und die hübsche Anmutung inmitten des angerichteten Chaos vergessen, gibt man den Stücken nun auch noch etwas mehr Platz zum Atmen. Kleine Eilande im Strom.

Das geht zwar stellenweise auf Kosten der altbekannten Intensität, wird andererseits durch den Einsatz von Keyboards abgefangen, dessen Einbringung etwa im schon erwähnten Trans Canada dafür sorgt, dass der Song fast so etwas wie Soul bekommt. Ansonsten trotzen die Constantines einem restlos geplündert geglaubten Genre neue Facetten ab. Schließlich ist der Urschlamm, aus dem hier neue Kunst gezogen und gezüchtet wird, der gute alte Noise-Rock, der mit wummerndem Bass, Schneidbrennergitarre und tendenziell primitiv gehaltenem Schlagwerk eine Basis bildet, auf der sich die Constantines weitgehend versöhnlich geben, ja, stellenweise sogar leicht countryeske Charakteristika auftauchen lassen. Gegen Ende wird Kensington Heights dann überhaupt sehr ruhig. Beginnend mit dem Stück New King beginnt ein Hattrick des Ausklangs. Das muss man mögen, denn anders als etwa der Vorgänger franst Kensington Heights hier schon auch aus. Also alles wie bisher, nur ein wenig anders. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2008)