So sehr man den Grazer Opernfreunden mitsamt dem angereisten Herrn Altbundeskanzler die aus St. Petersburg importierten lustbringenden Tschaikowsky-, Cimarosa-und Strawinsky-Vorfälle vom ganzen Herzen gönnt, so handelt es sich bei diesen und vor allem auch beim jubelnden Überschwang, mit dem man sie willkommen hieß, doch um ein kulturhauptstädtisches Paradoxon. Und zwar gleich um ein zweifaches: Zum Ersten ist es doch immerhin erstaunlich, dass drei Abende aus dem solid-kulinarischen Opernalltag dieser russischen Stadt, so schön und so traditionsreich sie auch sein mag, in Europas Kulturhauptstadt zu Festabenden werden können. Zum Zweiten fragt es sich, ob nicht eher der Export hochkarätigen Musiktheaters und nicht der Import von Repertoirevorstellungen Sache einer Kulturmetropole wäre.

Zumal das Grazer Musiktheater im Lauf der letzten Jahrzehnte gerade als Startrampe internationaler Karrieren und als Produktionsstätte überregional belangvoller und beachteter Produktionen jene gerade einer Kulturhauptstadt gemäße Strahlkraft besaß.

Man denke nur an die vielen glänzenden Sängerkarrieren, die im Grazer Opernhaus ihren Anfang nahmen. Ljuba Welitsch zum Beispiel oder auch Otto Wiener. In jüngerer Zeit waren es Karl Terkal, Peter Minich, Heinz Zednik, Hans Helm, Wolfgang Müller-Lorenz und Gottfried Hornik, die von Graz aus zu internationalem Ansehen gelangten.

Ganz zu schweigen von Dirigenten wie Carl Muck, Oswald Kabasta, Ernst Märzendorfer oder Miltiades Caridis. Oder Berislav Klobucar, den Herbert von Karajan an die Wiener Staatsoper holte und auch als seinen Vertreter im Krankheitsfall zu den von ihm gegründeten Salzburger Osterfestspielen engagierte.

Nicht weniger repräsentativ ist die Liste der von der Grazer Oper absolvierten Ensemble-Gastspiele. Sie beginnt im Jahr 1964 mit Prokofjews Feurigem Engel an der Wiener Volksoper und wuchs in den 70er- und 80er-Jahren zu Carl Nemeths Zeiten zu geradezu unübersehbarer Stattlichkeit. Barcelona, Lausanne, Luxemburg, das Theater an der Wien (u. a. mit Kreneks Jonny spielt auf oder Zykans Auszählreim) zu den dortigen Festwochen, aber auch die Wiener Staatsoper (mit Cerhas Rattenfänger) waren die Stationen, in denen sich die Grazer Oper immer wieder von neuem als solche einer Kulturhauptstadt präsentierte.

Als Wetterleuchten der Ära Brunner darf der nach langer Pause für die diesjährigen Festwochen vorgesehene Grazer Auftritt mit Aida gelten. Und zu hoffen bleibt, dass die "herbst" Produktion von Beat Furrers Begehren bei der Ruhr-Triennale auch wirklich in vollem Umfang gezeigt wird. Deren Chef, Gerard Mortier, befindet sich wieder einmal in argen Budgetnöten. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 22./23.2.2003)