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Stammzellenforscher Shinya Yamanaka warnt vor verfrühten Hoffnungen, mit "induzierten pluri-potenten Stamm-zellen" (IPS) Krankheiten heilen zu können.

Foto: AP/Shizuo Kambayashi

STANDARD: Sie forschten lange an embryonalen Stammzellen. Was war ausschlaggebend dafür, nun einen neuen Weg einzuschlagen?

Yamanaka: Es stimmt schon, was immer wieder geschrieben wird. Ich betrachtete befruchtete Eizellen durch das Mikroskop und dachte, dass zwischen ihnen und den "Anfängen" meiner eigenen Töchtern wenig Unterschied besteht. Von da an war ich überzeugt, eine andere Möglichkeit finden zu können. Ich würde die wissenschaftliche Arbeit mit embryonalen Stammzellen aber nie verurteilen. Es geht ja schließlich darum, Kranke zu heilen. Wäre diese Forschung die einzige Möglichkeit, die zum Ziel führt, ich hätte gar kein Problem damit. Aber das ist nicht der Fall. Man kann nun eben auch ausdifferenzierte Zellen eines Erwachsenen in die Pluripotenz einer Stammzelle zurückführen, womit die Wissenschaft aus diesem ethischen Dilemma herauskommt.

STANDARD: Gibt es neben diesem Vorteil auch Nachteile dieser sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS)?

Yamanaka: Die gibt es. Wir müssen für die Herstellung Retroviren verwenden. Die Gefahr, dass dadurch Krebs entsteht, ist weit größer als bei embryonalen Stammzellen. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns.

STANDARD: Sie bremsen die Erwartungen in die neuen Stammzellen?

Yamanaka: Ich habe sie nie in die Höhe getrieben. Meine Pflicht als Wissenschafter ist es, die Fakten darzustellen und dabei auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, die Technologie nicht zu optimistisch zu bewerten und auch nicht schlechtzureden. Noch sind Sicherheitsfragen zu klären und die Herstellungsmethoden zu optimieren. Wir stehen erst am Anfang. Wir sind noch keinesfalls so weit, Menschen damit heilen zu können.

STANDARD: Wann glauben Sie, erste Anwendungserfolge mit IPS erzielen zu können?

Yamanaka: Hätten Sie mich vor drei Jahren gefragt, wann wir iPS herstellen können, dann hätte ich vielleicht "in zehn Jahren" gesagt. Wir sind aber jetzt schon so weit. Oft ist die Entwicklung von Zufällen abhängig. Ich kann daher keine Prognosen abgeben.

STANDARD: Viele Medien sehen in Ihnen schon einen kommenden Nobelpreisträger für Medizin. Wie fühlen Sie sich angesichts solcher Berichte?

Yamanaka: Welcher Wissenschafter würde nicht gerne den Nobelpreis erhalten? Man muss ihn sich aber verdienen. Noch konnten wir niemanden mit IPS heilen. Jetzt von mir als kommenden Nobelpreisträger zu schreiben halte ich daher für unseriös.

STANDARD: Aber Ihre Forschungen waren doch ein enormer Durchbruch. Und Sie selbst sind damit auch an die Öffentlichkeit gegangen.

Yamanaka: Mir fehlt es dennoch an Differenzierung in der Darstellung. Medien übertreiben, weil sie die Nachricht zuspitzen. Betroffenen wird dadurch verfrüht Hoffnung gemacht. Aber soll ich deswegen die Öffentlichkeit meiden? Das kann ich auch nicht machen. Ich muss über unsere Arbeit reden. Letztlich werden dadurch auch Geldgeber darauf aufmerksam, was uns eventuell die Weiterentwicklung von IPS erleichtern würde. Ich habe aber auch die Hoffnung, eine offene Diskussion über IPS führen zu können. Das wäre bei einer so zukunftsorientierten Technologie besonders wichtig.

STANDARD: Die Diskussion über embryonale Stammzellen muss ja nicht erst begonnen werden. Sie wird bereits geführt - und das zum Teil recht emotional, auch und vor allem in den USA, wo Sie einmal gearbeitet haben. Störte Sie das bei der Arbeit?

Yamanaka: Christliche Gruppierungen üben in den USA enormen Einfluss auf die Gesellschaft aus und laufen gegen diese Forschung Sturm. Präsident Bush lehnt die Forschung auch ab. Kein Wunder also, dass das Thema hochgespielt wird. Beide möglichen Nachfolger im Amt des US-Präsidenten, Barack Obama und John McCain, haben übrigens eine wesentlich offenere Haltung in dieser Frage. Interessant ist, dass man in einigen US-Bundesstaaten trotz ablehnender Haltung der Regierung Unterstützungen für embryonale Stammzellenforschung bekommen kann. In Japan gibt es diese Möglichkeit nicht. Regierung und Gesetze sind bei uns sehr rigoros. Was abgelehnt wird, kann man selbst mit Mitteln der Wirtschaft nicht umsetzen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel für die strengen Gesetze nennen?

Yamanaka: Es gibt weltweit etwa 100 menschliche embryonale Stammzelllinien, mit denen wir Wissenschafter forschen können. In Japan haben wir nur drei. Wir haben aber auch sehr rigorose Einführungsbestimmungen, die einen Import unmöglich machen. Das erschwert das Arbeiten und auch die weitere Entwicklung von IPS.

STANDARD: Können IPS die embryonalen Stammzellen ersetzen?

Yamanaka: Im Moment jedenfalls noch nicht. Und wir brauchen für die Charakterisierung von IPS und ihre "Qualitätskontrolle" nach wie vor embryonale Stammzellen. Die Arbeit mit ihnen zu verbieten wäre fatal. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2008)