Michael Tiemann hat 1989 eine wenig intuitive Idee in die Tat umgesetzt: Dass es sowohl finanziell als auch gesellschaftlich gewinnbringend sein kann, Software gratis herzugeben - und auch gleich noch jedes Detail des Programmcodes, den andere Unternehmen als ihr Kapital ansehen. Dieses sogenannte "Open Source"-Modell hat seitdem für Furore gesorgt. Nun will Tiemann dessen Prinzipien auf das Musikbusiness anwenden - und dadurch "mehr kreatives Potenzial freisetzen, als es jemals zuvor in der Musikwelt gegeben hat", wie er während der Ars Electronica in Linz sagte.

Nur ein Teil der Problematik

Dass die Musikindustrie durch illegales Kopieren im Internet stark unter Druck geraten ist, ist für Tiemann nur ein Teil der Problematik, die dieser Wirtschaftszweig derzeit durchmacht. Die Krise sei auch darin begründet, dass die angebotene Musik immer "weniger verkaufbar" ist: Der ehemalige Chorsänger, Gitarrist, Bassist und nunmehrige Klavierschüler hört "viele, viele Fehler in den heutigen Musikaufnahmen". Plattenfirmen streben "immer noch nach einem glatten Produkt, das allen gefällt". Und nach vielen Live-Konzerten sagen die Fans, dass der Sound unerträglich schlecht gewesen ist - "stellen Sie sich einmal vor, dass jemand nach einem Restaurantbesuch begeistert sagt: Das Essen war natürlich schlecht, aber es war meine einzige Chance, heuer in dieses Restaurant zu gehen". Tiemann will dem nun entgegenwirken - und dabei die Euphorie der Fans verwenden.

Energie fürs Leben

"Die Energie und Begeisterung der Programmierer hält die Open Source-Bewegung am Leben. Und das will ich auf das Musikbusiness übertragen." Dazu will er Musiker dazu bringen, ihre Musik den Fans zur Bearbeitung zu überlassen. "Es gibt einen Unterschied zwischen der Musik, die ein Künstler schafft, der Interpretation durch den Toningenieur und der Aufnahme durch die Fans", so Tiemann. Diese drei Aspekte müsse man näher zusammenführen. So sollen die Musiker jenes musikalische Roh-Material, das auch der Tontechniker zur Abmischung verwendet, den Fans geben, die sich dann wiederum ihre eigenen Versionen der Songs herstellen können. "Wir müssen den Inhalt von seiner vermeintlich endgültigen Form befreien", so Tiemann unter Hinweis auf Phil Spector, der vielen Beatles-Aufnahmen eine aus heutiger Sicht umstrittene "Wall of Sound" hinzugemischt hat.

Nur eine Möglichkeit

Kauf-CDs geben nur eine Möglichkeit wieder, mit dem musikalischen Material umzugehen. Durch "alternative Interpretationen", die musikbegeisterte Fans schaffen, "kann die Musik auf ganz neue Ebenen gehoben werden, die noch mehr Menschen genießen können". Trent Reznor von den Nine Inch Nails sei in dieser Hinsicht Vorreiter: Er hat das gesamte musikalische Rohmaterial von "Year Zero" für Neuinterpretationen freigegeben. Tiemann selbst will ab kommendem Jahr auf einer Website (http://www.miraverse.com/) jene Ressourcen an Open Source-Programmen, technischen Erklärungen und Hilfestellungen anbieten, die die Fans dafür brauchen, ihre eigenen CDs zu erstellen. Wichtig sei dabei auch Information über die Akustik jener Räume, in denen die Fans arbeiten. Tiemann will ein offenes Studio in North Carolina anbieten, in dem mehrere "Koproduzenten" gleichzeitig an einer Aufnahme arbeiten können.

Kreativer Kontakt

Auch soll es künftig neue Wege geben, wie Künstler und Publikum auf kreative Weise miteinander in Kontakt treten sollen. Die Künstler haben derzeit nur "sehr ineffiziente Wege", an ihre Fans heranzukommen, so Tiemann. Und die Musikliebhaber wiederum würden ihre Erwartungen immer weiter absenken: "Sie erwarten von Musik heute nicht viel mehr als von einem schlechten Betriebssystem." Tiemann zeigte sich "erschüttert" davon, "wie viel Wert brachliegt, wenn Bands alleine ins Studio gehen": Viele Fans wären bereit, gutes Geld dafür zu zahlen, beim Entstehungsprozess einer neuen Aufnahme dabei sein zu können. So plane bereits Peter Gabriel, seine Studios öffentlich zugänglich zu machen. Tiemann hat 1989 mit "Cygnus Solutions" das weltweit erste Open Source-Unternehmen gestartet. Heute ist er Präsident der "Open Source Initiative" und beim Linux-Unternehmen "Red Hat" aktiv.(APA)