"Keine Angst vor den Grünen" - mit diesem seltsamen Appell wandte sich ihr Chef Alexander Van der Bellen am Sonntag an seine eigenen Delegierten, meinte aber eine ganz andere Zielgruppe: Jene Menschen, die drei Wochen vor der Wahl noch unentschlossen sind. Das sind gut eineinhalb Millionen Menschen, und einem Teil von ihnen einen Schubs zu geben könnte wahlentscheidend sein, für jede Partei.

Die Nichtwähler, deren Motive irgendwo zwischen Protest und Resignation liegen, haben bei dieser Wahl gute Chancen, zur stärksten Kraft zu werden, eine Kraft, die ins demokratische Nichts zielt und dort im Vakuum lautlos verpufft.

Die große Koalition hat alles unternommen, um den Zustrom zur großen Bewegung der Nichtwähler zu verstärken, und die anderen Parteien tun sich unglaublich schwer, wenigstens einen Teil dieses Stroms auf sich umzulenken. Dass Fritz Dinkhauser kein Wunderwuzzi, sondern ein politischer Sonderling ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Er wird es nicht in den Nationalrat schaffen, ebensowenig die anderen Kleinparteien, die teilweise schon einen starken Zug zum Obskurantentum haben. Lediglich das Liberale Forum hat gute Chancen, als sechste Kraft ins Parlament einzuziehen.

Ein Motiv der ÖVP, die Regierung politisch zu sprengen, war der ewige Streit, auch wenn man diesen selbst zum Prinzip erhoben hatte. Ein Hauptgrund, warum die große Koalition und mit ihr die Politik schlechthin so unbeliebt war und ist: der Streit. Verwunderlich ist daher, warum die ÖVP in ihrem Wahlkampf so sehr auf Streit setzt. Es ist eine Kampagne des Wadlbeißens, in der der politische Gegner direkt angegriffen wird, in der Plakate und Werbespots nicht für die eigenen Anliegen, sondern gegen die andere Partei eingesetzt werden. Über den Spitzenkandidat der anderen Partei wird gespottet, er wird als Lump beschimpft, sein Name wird verballhornt. Die ÖVP zeigt sich in dieser Phase des Wahlkampfes nicht sehr staatstragend, sondern untergriffig. Und Wilhelm Molterer agiert zu offensichtlich mit der Angst im Nacken: " ... oder wir sind von der Bühne weg".

Dieser Negativwahlkampf ist zwar nicht sonderlich erbaulich, mag aber ein paar Leute zusätzlich ansprechen: Natürlich war es immer schon ein gutes Motiv, die eine Partei zu wählen, weil man die andere nicht mag. Die ÖVP zu wählen, um der SPÖ zu schaden. Oder umgekehrt, die Roten in Kauf zu nehmen, um den Schwarzen eines auszuwischen. Auch die Kronen Zeitung mischt hier als Motiv mit: Es mag für viele ein überzeugender Grund sein, die SPÖ nicht zu wählen, weil ihr Spitzenkandidat im Kleinformat so unverschämt angeschleimt wird. Jeder Reim von Wolf Martin, in dem Werner Faymann hochgepriesen wird, kostet die SPÖ auch Stimmen.

Beide Großparteien, die bald nur noch als die beiden größeren Parteien tituliert werden können, präsentieren sich als nicht sehr sympathisch. An den Sympathiewerten kann es aber nicht liegen, dass sich vie- le Leute offenbar wieder der FPÖ zuwenden. Schon eher am Protest, für den ihr Chef steht. Gegen die "Großkopferten", wir haben es am Sonntag in der Pressestunde wieder gehört, ist immer noch ein handfestes Motiv.

Die Grünen werden offenbar kaum noch als Protestpartei wahrgenommen, sie werden mit ihren politischen Pin-up-Posen als Teil des Establishments gesehen. Dabei waren sie noch keinen Tag in der Regierung. Mit militanten Tierschützern anzutreten mag diesem braven Bild entgegenwirken - und dürfte dem LIF den Einzug ins Parlament sichern. (Michael Völker/DER STANDARD Printausgabe, 8. September 2008)