Kein Kuschel-, aber ein gelehriges Tier. Bisher galten Wölfe als kaum trainierbar. In Grünau weiß man schon nach kurzer Forschungsarbeit: alles nicht wahr.

Foto: Konrad Lorenz Forschungstelle Grünau

Ob Kinderschreck, Unabhängigkeitssymbol oder Jagdbruder - um den Wolf ranken sich jede Menge Geschichten. Und obwohl viele Leute mit Wölfen gearbeitet haben bzw. arbeiten, halten sich auch in der Wissenschaft ein paar Annahmen hartnäckig, ohne bisher zwingend belegt worden zu sein. Das soll sich ändern: Im oberösterreichischen Grünau im Almtal wurde heuer der Grundstein für ein Wolfsforschungszentrum gelegt, an dem die geistigen Leistungen von Wölfen erforscht werden sollen.

Dieser "Grundstein" sind vier Timberwolfwelpen, die mit neun Tagen von den Verhaltensbiologen und Wolfszentrumdirektoren Kurt Kotrschal, Friederike Range und Zsófia Virányi übernommen wurden und nun im Cumberland-Wildpark von Hand aufgezogen werden. "Nur wenn man sie so früh bekommt, werden sie zahm" , so Kurt Kotrschal, Leiter der KonradLorenz-Forschungsstelle-Ethologie in Grünau. Die Forscher essen und arbeiten nicht nur im Gehege ihrer Schützlinge, sondern teilen mit ihnen auch das Matratzenlager. Mittlerweile sind die Wölfe vier Monate alt, rund 25 Kilo schwer und fast so groß wie Schäferhunde.

Angst haben müssen die Forscher trotzdem nicht vor ihnen. Erstens, weil Timberwölfe von Natur aus friedlich sind, und zweitens, weil sie von Anfang an zu gegenseitigem Respekt erzogen wurden. "Im Gehirn von Säugern ist der präfrontale Kortex für die Impulskontrolle zuständig" , führt Kotrschal aus. "Der muss bei sozialen Wesen durch Grenzensetzen im Kindesalter trainiert werden - das ist bei Wölfen nicht anders als bei Hunden oder Menschen."

Nur dass Wölfe eben doch keine Hunde sind und gar kein Verständnis für Strafen - und sei es nur ein Klaps - aufbringen. Sie akzeptieren aber z. B. anstandslos, dass sie ein Stück Fleisch nicht bekommen, wenn sie zu aufdringlich sind oder sich sonst wie danebenbenehmen, und lernen daraus, das nächste Mal weniger lästig zu sein. Mittlerweile können die Forscher im Gehege ungestört frühstücken - die Jungwölfe sitzen nur gesittet daneben und schauen zu, statt auf dem Tisch zu stehen und mitzufressen, wie sie das ohne Erziehung täten.

Objekt suchen

Die Welpen werden jedoch nicht aus Selbstzweck zu wohlerzogenen Wölfen gemacht. Neben dem Erlernen der Befehle aus der Hundeausbildung nehmen sie drei- bis viermal pro Woche an verschiedenen Versuchen teil, die ihre Lernfähigkeit und die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten testen. Dazu gehört etwa, dass vor ihren Augen Objekte (ein Knochen oder ein Stück Fleisch) versteckt werden, die sie danach finden sollen. Das klingt simpler, als es ist. Selbst bei Menschen entwickelt sich die sogenannte Objektpermanenz - also das Begreifen, dass ein Objekt noch da ist, auch wenn man es nicht sieht - erst im Alter von acht Monaten, und die meisten Tiere haben sie gar nicht.

In anderen Versuchen wird getestet, inwieweit sie imstande sind, auf Hinweise eines Demonstrators zu reagieren: Von zwei verdeckten Gefäßen, die beide nach Fleisch riechen, enthält nur eines wirklich ein Fleischstück, aber die Wölfe wissen nicht, welches. Nun gibt ihnen jemand ein Zeichen: Ein eingeweihter Mensch oder aber auch ein entsprechend trainierter Hund zeigt mit der Hand bzw. Schnauze auf das richtige Gefäß oder schaut demonstrativ darauf.

Die Leistungen der Jungwölfe in diesen Versuchen sind individuell sehr verschieden, aber schon jetzt sieht es so aus, als müsste hier mit ein paar Geschichten aufgeräumt werden: Bis jetzt galten Wölfe als kaum trainierbar, und angeblich sind sie außerstande, sich von Menschen in dieser Form helfen zu lassen. Für detaillierte Aussagen ist es noch zu früh, aber eines können die drei Forscher jetzt schon sagen: "Alles nicht wahr."

Was sonst bezüglich der Fähigkeiten von Wölfen noch nicht bzw. schon wahr ist, soll in Grünau in den nächsten Jahren erforscht werden. Aragorn, Kaspar, Shima und Tayanita sind erst der Anfang. In den kommenden Jahren sollen durch Handaufzucht neuer Welpen zwei Rudel zu je zehn Tieren entstehen, für die der Grünauer Cumberland-Wildpark zwei Gehege errichten wird. Auch ein Laufband ist geplant, mittels dessen Jagdsituationen simuliert werden können. Anders als gewöhnliche Zootiere werden sich die Wölfe ihr Fleisch verdienen müssen, was den Vorteil hat, dass es Langeweile und daraus entstehender Aggressivität vorbeugt.

Außerdem soll es mit Versuchsanordnungen Einblicke darin geben, wie Wölfe die gemeinsame Jagd koordinieren: Suchen sie sich ihre Jagdpartner im Rudel aus oder kommen einfach zwei oder mehr Tiere gleichzeitig auf die Idee, weil sie Hunger haben? (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2008)