In Friedrich Dürrenmatts Stück "Die Physiker" ist der Inhalt der Physik nur den Wissenschaftern bekannt, die gefährlichen Auswirkungen treffen aber alle. An diese Parabel des Schweizer Autors zu denken lag nah, als am Mittwoch um 10.28 Uhr im Forschungszentrum Cern bei Genf im neuen Teilchenbeschleuniger die Protonen ihre erste 27 Kilometer lange Runde drehten. In einigen Wochen werden sie, auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, aufeinanderprallen.

Als "größtes Experiment", das die Rätsel der Weltentstehung lösen könnte, wurde die drei Milliarden Euro teure Anlage bejubelt. Doch dann sagten Kritiker voraus, beim künstlichen Urknall würden schwarze Löcher entstehen, die den Weltuntergang auslösen könnten. Seither wird im Cern versichert, dass diese nur Sekundenbruchteile dauernde Teilchenkollision bei der Reise des Planeten Erde durch die kosmische Strahlung im All ohnehin schon hunderttausendmal ohne böse Folgen vorgekommen sei.
Unvorstellbar ist, dass die zehntausenden Wissenschafter, die an dem Projekt mitarbeiten, sehenden Auges unermessliche Risiken eingehen würden. Es handelt sich eben nicht um eine kleine Gruppe verschworener Physiker, die in geheimen Labors neue Waffen konstruieren. Das Cern ist vielmehr die Erfolgsgeschichte einer im Jahr 1954 von zwölf europäischen Staaten gestarteten Forschungsinitiative, an der nun fast die ganze Welt teilnimmt. Es geht um Welterkenntnis und Forscherdrang - wie einst bei Polarexpeditionen oder der Raumfahrt. Vielleicht fällt auch etwas Praktisches ab. Im Gelehrtenparadies Cern wurde ja nebenbei auch das World Wide Web erfunden. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 9. 2008)