Investmentbanker Walter Schuster hält die Krisenbewältigung der Amerikaner für radikal, aber effizient; die Europäer seien zögerlich. Überm Berg ist man bei der Krise nicht, sagte er Renate Graber.

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STANDARD: Lehman Brothers pleite, Merrill Lynch verkauft, der Versicherungsriese AIG gerade noch aufgefangen: Wer ist schuld an der Finanzkrise?

Schuster: Eine ganze Reihe vonEntwicklungen: In den vergangenen zehn Jahren sind sehr viele Finanzinstitute außerhalb der regulierten Welt entstanden; nicht nur Hedgefonds. Die Grenzen zwischen Banken, Versicherungen, Asset-Management haben sich so aufgelöst, dass die Geschäfte für die Marktteilnehmer nicht mehr durchschaubar sind. Versicherer haben Bankgeschäfte gemacht, Banken Versicherungsgeschäfte und so fort. Die Finanzwelt ist extrem kompliziert geworden, es sind völlig neue Submärkte entstanden, auf denen unterschiedlichste Spieler unterwegs sind.

STANDARD:  Die US-Notenbank Fed hat lange jede Menge billiges Geld zur Verfügung gestellt. Hat das die Entwicklung beschleunigt?

Schuster: Die Niedrigzinspolitik kommt dazu, wobei man schon sehen muss, dass dieZinsen für kurzfristige Ausleihungen von 2003 bis 2006 stark gestiegen sind. Faktum ist, dass die Liquidität weltweit hoch war und zur Spekulationsblase geführt hat. All das zusammen hat einen Cocktail erzeugt, der giftig wurde. Geplatzt ist das beim schwächsten Glied der Kette: beim US-Immobilienmarkt. Und dann ging es schnell: Fällt einer, fallen auch die anderen.

STANDARD: Lehman wurde in die Pleite geschickt, die Mitarbeiter haben schon ihre Kisten gepackt. Geht rasch - wie finden Sie die Krisenbewältigung der USA?

Schuster: Die USA sind beim Aufräumen in vielenFällen weiter als wir in Europa. Europäer und Amerikaner gehen sehr unterschiedlich mit Krisen um, in den USA ist man viel radikaler bei der Problembewältigung. Da arbeitet man das raschest auf, mit Blut, Schweiß undTränen. Schauen Sie nur, die Lehman-Mitarbeiter stehen schon auf der Straße - finito. Da lässt man völlig leidenschaftslos Banken auch pleite gehen, in Europa schiebt man die Dinge vor sich her. Bedenken Sie nur, wie lange der Krampf beider britischen Bank Northern Rock oder der deutschen IKB gedauert hat. Dass die Europäer das gleiche Krisenmanagement wie die Amerikaner haben, das müssen sie erst sie beweisen.

STANDARD:  Europa wird jedenfalls in Folge der Krise noch ordentlich bluten müssen, glauben Sie nicht?

Schuster: Ich hoffe, dass es für die europäischenBanken nicht so schlimm wird, aber es kommen schon noch einige Krisen auf uns zu. Wobei Österreich und Osteuropa - bis auf Russland und Kasachstan - von der Finanzkrise weitgehend verschont bleiben werden, vorausgesetzt, es kommt zu keiner großenRezession. Die österreichischen Banken sind einfach besser aufgestellt als die Konkurrenz, die haben genug Geschäft im Osten gemacht. Die anderen haben gemeint, sie können Geschäfte mit enormen Investitionen in die so genannten Ramschhypotheken machen, sie haben da unglaublich stark zugeschlagen - das hat ihnen aber niemand angeschafft. Die Europäer haben sich die Krise ganz freiwillig in ihre Länder geholt.

STANDARD: Für wie realistisch haltenSie eine Rezession inEuropa, die ja auch die Banken treffen würde?

Schuster: Das Wichtige aus Sicht der Banken ist, dass die Bilanzen der Unternehmen gesund sind, in Europa wie auch den USA. In Europa sind zudem die privatenHaushalte wesentlich weniger verschuldet als in den USA - auch das ist gut. Die Krise kann unter Kontrolle gebracht werden, aber wird sind noch nicht über dem Berg.

STANDARD: Ein Wiener Banker sagte jüngst: "Wir sind am Rande der Apokalypse." Ist es so dramatisch?

Schuster:  Wir haben es mit einem sehr giftigen Gemisch zu tun.

STANDARD: Das Gegengift ist das Geld der Notenbanken und insofern das der Steuerzahler?

Schuster: Natürlich belastet alles, was Fed oder andere Notenbanken tun, wenn sie Liquidität in den Markt pumpen, letztlich den Steuerzahler. Das kann helfen, die globale Krise zu vermeiden, aber wir sind wie gesagt noch nicht überm Berg. Vor einem Jahr wäre Lehman Brothers mit 639 Milliarden Dollar Bilanzsumme noch "too big to fail" gewesen. Jetzt hat sie keiner aufgefangen, man hat sich dagegen bemüht, die anderen Banken flüssig zu halten. Aber es geht nicht anders: In allererster Linie muss das System liquid gehalten werden. DER STANDARD, Print-Ausgabe,18.9.2008)