Wien - Man hört es an der heiseren Stimme: Heinz-Christian Strache ist viel unterwegs. Von der Freistädter Messe durch die Tennishalle von St. Georgen auf denHauptplatz von Ried im Innkreis - allein am Samstag spult der FPÖ-Chef drei Wahlkampfauftritte ab. Bis zur Erschöpfung zerspragelt sich Strache. Einen Zwischenstopp im Spital musste er bereits einlegen.
Zahlt sich diese Gewalttour überhaupt aus? Im besten Fall trifft ein Kandidat am Marktplatz ein paar hundert Leute - jede Minute im Regionalfernsehen bringt da mehr. Laut einer Studie von Karmasin Motivforschung geben nur fünf Prozent der Befragten Wahlveranstaltungen als Hauptinformationsquelle an, nach der sie ihre Entscheidung richten. Jeweils über 40 Prozent nennen hingegen Zeitungen, Fernsehen und Radio.

Trotzdem hetzt Strache zu so vielen Live-Auftritten wie wohl kein anderer Bewerber. "Er will eben ein Politiker zum Angreifen sein" , sagt FPÖ-Stratege Herbert Kickl und setzt auf "Multiplikatoren" . In den Ländern stellen sich die Lokalzeitungen um Interviews an, wer dabei war, erzählt davon am Stammtisch. Und, laut Kickl besonders wichtig: "Wir motivieren damit unsere Ortsgruppen." Nur wenn der Star Einsatz zeige, so eine alte Wahlkampfweisheit, legen sich auch die kleinen Funktionäre ordentlich ins Zeug.

Eine Logik, die Fritz Plasser als einstiger ÖVP-Mitarbeiter bis zum Exzess erlebt hat. Hatte das Nachbardorf ein Riesenplakat, musste ein paar hundert Meter weiter ebenfalls eines stehen - auch wenn dort kaum wer vorbeifuhr. Trat der Spitzenkandidat in einem Bezirk auf, war auch der andere Pflicht, weil lokale Parteigrößen sonst eifersüchtig gewesen wären.

Beim Finale völlig am Ende

Bis zu 180 Gemeinden besuchten Wahlkämpfer in den Achtzigern. Eine gigantische Verschwendung von Zeit und Ressourcen, meint Plasser: "Das stand schon damals in keinem Verhältnis zum Nutzen. Wir Berater sind heroisch daran gescheitert, das den Politikern auszureden." Und so seien Spitzenkandidaten beim wichtigen Finale oft völlig am Ende gewesen: "Das hat auch zu einer unglaublichen Grantigkeit geführt."

Derartige Monstertouren tun sich Politiker heutzutage, wo sie Botschaften via Massenmedien viel besser übermitteln können, nicht mehr an. Aber schon 30, 40 Auftritte seien zu viel, meint Plasser: "Es ist klüger, sich in der Zeit auf die TV-Duelle vorzubereiten."

In der SPÖ sieht man das ähnlich. Keiner der Spitzenkandidaten, von den Kleinparteien abgesehen, zeigt sich öffentlich so selten wie Werner Faymann, vor den ORF-Debatten schottet sich der SPÖ-Chef ab. "Wir wollen ihn nicht total auslaugen" , heißt es aus Faymanns Büro. Wenn er wo auftaucht, dann so, dass die Medien genug mitbekommen. Über den legendären Viktor-Adler-Markt in Wien-Favoriten kämpfte sich Faymann am Donnerstag inmitten einer Traube von Journalisten.
"Auftritte am Viktor-Adler-Markt haben bei uns noch nie gut funktioniert" , sagt hingegen ÖVP-Stratege Nikola Donig: "Da erreicht man mit viel Aufwand nur 300 Leute." Auch Medienberichte über ein solches "Event" seien nur bedingt hilfreich. Kandidat Wilhelm Molterer reist zwar durch alle Länder, "er eilt aber nicht von Bierzelt zu Bierzelt, sondern besucht interessante Veranstaltungen, wo er Themen transportieren kann" . Besonders wichtig in einem kurzen Wahlkampf seien die TV-Auftritte, sagt Donig. Das könne man an den Quoten der Zuseher ablesen - was aber nicht bedeute, dass sich diese tatsächlich danach entscheiden.

Von einem "Medienwahlkampf" spricht auch BZÖ-Generalsekretär Stefan Petzner. Trotzdem tourt Kandidat Jörg Haider quer durch Österreich; direkter Kontakt sei eben seine Stärke. Hauptsächlich in Wien und Umgebung fährt hingegen Heide Schmidt herum. Die Liberalen stecken aber die Hälfte des Budgets in den Internetauftritt, erzählt Kampagnenleiter David Loidolt - vor allem um die eigenen Mitstreiter zu mobilisieren. Fritz Dinkhauser wiederum ist so knapp bei Kasse, dass sich nicht einmal ein Abschlussevent ausgeht.

Raus aus der Wiener Blase

Größeren Aufwand treiben die Grünen. Mit Band, Videowall und prominenten Kollegen im Schlepptau tourt Alexander Van der Bellen durch die Landeshauptstädte. Auch um zu lernen, was die Leute wirklich beschäftige, erklärt Parteimanager Lothar Lockl - denn das stimme mit der medialen Wahrnehmung oft nicht überein: "Wir wollen raus aus der Wiener Blase der Meinungsforscher und Journalisten, die sich gegenseitig immer nur dasselbe erzählen."(Gerald John, Michael Völker, Katharina Weißinger/DER STANDARD Printausgabe, 20./21. September 2008)