Foto: Standard/Illetschko

Werner Nachtigall (74), Zoologe und Biologe, mehrfacher Buchautor zum Thema Bionik, war Professor an der Uni Saarbrücken.

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Standard: Täuscht der Eindruck, dass von der Bionik öfter Lösungen erwartet werden, als es realistisch ist?

Nachtigall: Nein, der Eindruck täuscht nicht. Seitdem sie betrieben wird, läuft die Bionik eigentlich Gefahr, überschätzt zu werden, – wegen der Ergebnisse, die sie bringen kann. Warum? Bionik ist Grundlagenforschung. Man muss hinschauen, was die Natur macht. Man kann die Erkenntnisse daraus aber nie direkt umsetzen, Das, was die Natur vorlegt, muss zuerst abstrahiert werden. Das Gegenteil wird oft angenommen, in der Hoffnung, schnell zu einer Lösung zu kommen. Diesen Fehler hat schon Leonardo da Vinci bei Beobachtungen des Vogelflugs gemacht, als er annahm, dass der Mensch nur Gleiches tun müsse, um fliegen zu können. Schließlich muss man sich fragen: "Wo sind Gesetzlichkeiten, die einerseits an die Natur, andererseits an die Technik anschließen?" Das kann nur mit den Ingenieurswissenschaften geklärt werden. Das braucht Zeit.

Standard: Wie lange dauert es denn, bis eine bionische Forschung umgesetzt werden kann?

Nachtigall: Das ist von Fall zu Fall verschieden. Der Lotus-Effekt wurde in den 1970er-Jahren entdeckt. Erste Anwendungen mit schmutzabweisenden Materialien gab es in den 1990er-Jahren. Man sieht also, dass Bionik keine Lösung von der Stange anbieten kann. Da ist viel und zeitaufwändige Kleinarbeit davor nötig. Und obwohl die Industrie logischerweise immer alles sehr schnell auf den Markt bringen will, hat sie mitgespielt.

Standard: Wie wird man eigentlich Bioniker, wie sind Sie es geworden?

Nachtigall: Mich hat einfach alles fasziniert. Wasserkäfer wie Vögel oder U-Boote und Automotoren. Daher habe ich Biologie und gleichzeitig Ingenieurswissenschaften studiert. Da kommt es ganz zwangsläufig, dass man die Dinge zusammenführt. Ich habe an der Uni Saarbrücken das Studienprogramm "Technische Biologie und Bionik" begründet. Mittlerweile gibt es sogar Bionik als Studium. An der Fachhochschule in Bremen gibt es weltweit den ersten Studiengang, der zum Bioniker führt. Man will das Berufsbild eines Experten, der von allen Ahnung hat, aber nicht so tiefgehend wie Biologen oder Ingenieure, bei der Wirtschaft etablieren. Die Ansätze klingen gut. Es heißt, dass Großbetriebe, die sich so einen Generalisten leisten könnten, durchaus Interesse zeigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.9. 2008)