Auch wenn die Causa prima Mehrwertsteuersenkung nicht durchging: Was die Nationalratsabgeordneten in der Nacht auf Donnerstag im Halbschlaf durchgewinkt haben, wird nicht nur als besonderer Pallawatsch in die Geschichte eingehen, sondern vor allem auch als eine der größten Geldvernichtungsaktionen der letzten Jahrzehnte.

Während sich die Parteien rühmen, was sie nicht alles für die jeweilige Klientel herausgeschlagen hätten, ahnt die intelligentere Mehrheit der Bevölkerung schon, was das im Klartext bedeutet. Auf jeden Fall keine so dringend benötigte umfassende Entlastung nach einem Gesamtkonzept. Und - wenn die Konjunktur nicht überraschend schnell aus dem Tief herausfinden sollte - wahrscheinlich auch ein Sparpaket, das sich gewaschen hat.

Grund dafür ist die jetzt schon miserable Finanzlage der Republik. Dass die aktuelle Neuverschuldung einigermaßen passabel wirkt, ist der Hochkonjunktur der letzten Jahre zu verdanken, als die Steuereinnahmen nur so sprudelten, die Ausgaben aber ebenso. Zwölf Milliarden höhere Abgaben in fünf Jahren hat die Republik den Bürgern abgezwackt - und verpulvert.

Was ebenso schwer wiegt, sind die Vorgriffe auf die Zukunft, die praktischerweise weitgehend verborgen bleiben und daher von der Politik besonders geschätzt werden. So haben sich die "Verpflichtungen zulasten künftiger Finanzjahre", wie es der Rechnungshof trocken beschreibt, allein im Vorjahr um fast ein Fünftel auf 104 Milliarden Euro erhöht. Und bei den staatlichen Haftungen konstatiert er dank ÖBB- und Asfinag-Fiasko einen Anstieg um 16 Prozent auf 85 Milliarden Euro.

Vor diesem Hintergrund ist das Füllhorn im Wahlkampf zu sehen. Bei allen unterschiedlichen Abstimmungskonstellationen scheint es im Nationalrat doch einen Konsens zu geben, der da lautet: Nach mir die Sintflut. Das stellt vor allem den beiden einstigen Großparteien ein Armutszeugnis aus. Während die Roten ihrem Ruf als notorische Schuldenmacher nur gerecht wurden (und mit der geplatzten Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel zu größeren Schandtaten bereit waren), setzen nun auch die Schwarzen, deren Chef jeden Tag das Hohelied der Budgetstabilität anstimmt, auf die Scheckbuchpolitik.

Der größte Fehltritt bei den Abstimmungen war jener bei den Pensionen, deren langfristige Finanzierbarkeit wegen der Alterung der Gesellschaft ohnehin auf dem Spiel steht. Doch ausgerechnet bei diesem sensiblen Gefüge wurde am stärksten auf den Putz gehaut. Mit 1,5 Milliarden Euro wird mehr als die Hälfte des nächtlichen Geldregens auf die Pensionisten niederprasseln, die bei den bisherigen Einschnitten weit weniger Opfer bringen mussten als die jüngeren Generationen.

Wenn nun Pensionistenvertreter die Attacke auf das staatliche Pensionssystem als "Sternstunde für Jung und Alt" im Nationalrat bezeichnen (© Karl Blecha), kann das - bei allem Verständnis für die Anpassung kleiner Renten - nur als blanker Hohn bezeichnet werden. Dass bei der Hacklerpension zwei gegensätzliche Regelungen beschlossen wurden, ist ein Indiz dafür, dass die Mandatare die Nacht auf einem anderen Stern verbrachten.

In diesem Umfeld startet am heutigen Freitag die Metaller-Lohnrunde, in der ebenfalls eine Antwort auf die Teuerung gefunden werden muss. Hohe Inflation und Konjunkturknick machen aus der alljährlichen Verhandlung einen Balanceakt. Geholfen hat die Politik nicht. Die Aussicht auf eine echte Entlastung bei Lohnsteuer und -nebenkosten hätte Druck von der Lohnrunde genommen. Das Gegenteil ist passiert.(Andreas Schnauder/DER STANDARD-Printausgabe, 26. September 2008)