Muss man über tote Politiker so schreiben, als wäre gerade ein Verwandter gestorben? Nein, muss man nicht. Wer sich manche Kommentare zum Ableben des Jörg Haider so durchliest, hat den Eindruck, man müsse doch. Als wäre jener Teufel, den die Medien auch beim geringsten Anlass gerne auf die Einserseiten gehievt haben, am Ende doch ein Bengelchen, mit dem zu versöhnen es nur einen kleinen Schritt brauchte, den man immer aufgeschoben hatte, da man doch so lange so gut voneinander gelebt hat: Die Medien von Haider, Haider von den Medien.

Lasst uns loben

Natürlich wird auch gescholten, wo es Schelte geben muss: Haiders "Nazi-Sager". Haiders "Ausländerpolitik". So weit darf die Kritik am Toten gerade noch gehen. Zu verschweigen, dass er kein ganz Braver war, wagt ja selbst die "Krone" nicht. Doch weil er tot ist, muss man ihn würdigen. Die Medien müssen das, die politischen Gegner müssen das. Und hier beginnt die Tastatur, störrisch zu werden. Haben wir das eigentlich je geübt? Haider loben? Wir doch nicht. Muss aber sein, jetzt, wo er bald unter der Erde ist. Also los: Was fällt uns ein?

"Umstritten" geht immer. Zum Streiten braucht es schließlich mindestens zwei, und dieses Wort gibt beiden Streitparteien Recht, also auch den Bösen. Gut gemacht! Geht noch mehr? "Ein politisches Talent" (Österreich). Kann schließlich niemand abstreiten, hätte er es sonst so weit gebracht? "Ein Tabubrecher" (Presse). Auch nicht schlecht. Waren doch immer alle so arg empört, wenn er wieder mit seinen "markigen Sprüchen"(APA) "glänzte" (OÖN), die am Ende doch in Gesetze gegossen wurden – von jenen Großparteien, die sich zuvor noch empört hatten.

Geltendes Unrecht

Und hier schließt sich der Kreis: Weil vieles von dem, was Haider gefordert hatte, heute geltendes Recht ist -Stichwort Fremdengesetze -, und jenes Unrecht, das Haider nie als solches verstanden hat, noch immer gilt – Stichwort Ortstafeln – nimmt man an, dass Haider tatsächlich im Recht war. Bei wenig politikinteressierten Medienkonsumierenden verwundert dieser Trugschluss nicht. Bei Medienmachenden und erfahrenen PolitikerInnen hingegen schon.

Denn was macht Jörg Haider plötzlich zum begabtesten Politiker seit Kreisky (Die Presse, Österreich)? Er war glänzender Rhetoriker, gewandter Netzwerker, vor allem ein begabter Populist, der anderen vormachte, wie man Stimmen fängt. Zugegeben, in einer Demokratie keine unwesentliche Kompetenz. Aber ist ein Musiker, der die Umsatzrekorde seiner Plattenfirma bricht, schon ein "begabter Musiker"? Und wie viel nationale Anerkennung verdient ein österreichischer Politiker, der Österreichs Image in der Welt nachhaltig geschädigt hat?

Kämpfendes Freunderl

Er habe Proporz und Freunderlwirtschaft „benannt, bekämpft und zum Teil auch verändert" (Kurier), heißt es weiter. Er, dem als Personalbeschaffer blinde Loyalität stets wichtiger war als Kompetenz, er, der umfärbte, wo er konnte, wird nun zum Aufweicher verkrusteter Strukturen stilisiert.

Es geht aber noch besser: Als einen, der "sich nie ein Blatt vor den Mund genommen und die Dinge beim Namen genannt hat" beschreibt Wilhelm Molterer jenen Landeshauptmann, der die Raub- und Vernichtungszüge der Nazis als "ordentliche Beschäftigungspolitik" bezeichnete. Und das Profil sieht Haider nun weit erhaben über jenen "braunen Sumpf", in dem sie ihn früher verortet hatte: "Einer, der Licht verbreitete", sei Haider gewesen, so der Chefredakteur – und er meint damit nicht das Blaulicht, das die mehrmaligen Haiderschen "Abschiebungsaktionen" von Asylsuchenden in Richtung Traiskirchen begleitete.

Tragik

Dass Menschen sterben, ist für ihr Umfeld tragisch. Wird deshalb jeder Tod gleich zur "Tragödie" (Heinz Fischer)? Wer sich im Ortsgebiet bei schlechten Sichtverhältnissen mit 142 Sachen tödliche Verletzungen zuzieht, ist zwar nicht "selber schuld", aber zumindest nicht ganz aus der Verantwortung zu nehmen. Wer hier von einer Tragödie spricht, muss das auch im Fall jedes Herzinfarktopfers tun. Tut aber keiner.

Jörg Haider hat die jahrelange, großkoalitionäre Scheinstabilität provoziert. Das ist ihm ebensosehr zuzurechnen wie der damaligen Schwäche der parlamentarischen Opposition. Haider sorgte dafür, dass sie stärker wurde. Das ist sein Verdienst. Doch die Mittel, die er dafür in die Hand nahm, heiligen den Zweck nicht. Er kanalisierte die Unzufriedenheit der Menschen in eine Energie, die man ganz unaufgeregt rassistisch nennen kann. Die Popularisierung dieses Rassismus ist Haiders Vermächtnis. So hat er Österreich geprägt. Und so wird man ihn im Kopf behalten, wenn die Würdigungen vergessen sind. (Maria Sterkl, derStandard.at, 14.10.2008)