Foto: alucier.web.wesleyan.edu/

Alvin Lucier, Pionier der künstlerischen Klangforschung, umkreist seit Jahrzehnten die Schnittstellen von Performance, Komposition und Wissenschaft.

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Ein Musiker sitzt allein auf einer Bühne und bedient, ohne sich zu bewegen, ein Orchester von Schlaginstrumenten. Wie das möglich ist? Durch Energieströme, die vom Gehirn des Musikers über Elektroden nach Außen gelangen. Sie werden verstärkt und bringen so die Instrumente zum Klingen.

Jede Musik ist im Grunde genommen ein physikalisches Phänomen. Schon Edgard Varèse interessierte mehr der Klang als der Ton und stellte diesen in den Mittelpunkt seiner Kompositionen. Allerdings kam erst mit John Cages provokanten und experimentellen Aufführungen in den 50er und 60er Jahren in Europa und Amerika der herkömmliche Musikbegriff ins Wanken. Cage überließ die Musik sich selbst, vermied kompositorische Eingriffe und hielt sich aus den Werken heraus. Musik wurde dem Zufall überlassen, abgeschlossene musikalische Werke und notendurchtränkte Partituren beiseite geschoben.

Neue Klangräume

Einer der wenigen Komponisten, der neben John Cage die Klänge sich selbst überlässt, ist Alvin Lucier (77). Der US-amerikanische Künstler und Klangforscher beschäftigt sich seit Mitte der 60er Jahre mit den physikalischen Aspekten von Musik. Dabei widmet er sich unterschiedlichen natürlichen akustischen Phänomenen wie Resonanz, Klangwellen, Sprache oder Schwingungen. Herkömmliche Instrumente, mder menschliche Körper, wissenschaftliche Geräte oder Bunsenbrenner und Hufeisenmagneten, sind seine Hilfsmittel. Ebenso neuartig waren zu beginn seiner Installationen die Klangräume, die er sich für seine Auftritte aussuchte: darunter Höhlen, Stiegenhäuser, Wohnräume, Milchflaschen, Muscheln oder Eier.

Wie John Cage geht es bei Lucier in seinen Werken auch um die Reduktion des Selbst um des akustischen Phänomens willens: Das Resultat ist wichtig, nicht der Komponist. Lucier untersucht die Bewegungen von Klängen, wie Schallwellen miteinander interagieren. Und seine Kompositionen und Audiexperimente machen die Klänge sichtbar. So zum Beispiel seine Installation "The Queen of the South", die Schallwellen in Sand, Kaffee, Tee oder Salz visualisiert.

Alvin Lucier - "I Am Sitting in a Room" (Quelle: YouTube)

Zu seinen bekanntesten Werken zählen neben "I am Sitting in a Room" auch "Music for Solo Performer", das erste Stück, das Alvin Lucier nach seinem Studienaufenthalt in Italien und zu Beginn seiner Lehrtätigkeit an der Brandeis University Mitte der 60er Jahre schrieb. Dafür versetzt er sich in absoluten Entspannungszustand, um im Gehirn die tieffrequenten Alpha-Wellen zu erzeugen - um die Klänge über die an seinen Schläfen fixierten Drähte zu steuern. Dieses Experiment der 60er Jahre veranlasst den Künstler auch zu der Aussage, jede Person trage ein kleines, elektronisches Studio im Gehirn mit sich herum.

Zu sehen ist dieser Meilenstein der Musikgeschichte am Sonntag im Rahmen von Wien Modern, wenn der Komponist selbst, stillsitzend und entspannt, die Trommeln und Pauken, Gongs und ein Cymbal schlagen und rasseln lassen wird. Luciers Auftritt ist Teil des Themenschwerpunks "Musik & Gehirn" bei Wien Modern. Im Gespräch zu hören ist der Künstler bereits am Samstag, dem 1.11. im Zuge einer Live-Sonifikation menschlicher Hirnströme im Wiener Konzerthaus. (cra, derStandard.at, 27. Oktober 2008)