Wir Sind Helden
Guten Tag
(Virgin)

Das noch namenlose Debütalbum erscheint im Juni.

Im Sommer wieder live in Österreich

Foto: Virgin

Die Berliner Band "Wir Sind Helden" hat mit "Guten Tag (Die Reklamation)" den Song des Jahres veröffentlicht. Frecher, zickiger Pop, der die Neue Deutsche Welle frei von Peinlichkeiten grandios neu interpretiert.

Foto: Virgin

Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück! Der Song des Jahres 2003 stammt eigentlich aus dem November des Vorjahres. Damals veröffentlichte ein in Berlin lebendes Quartett mit dem schönen Namen Wir Sind Helden unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit im Eigenverlag eine schnell vergriffene, aus fünf Songs bestehende Mini-LP mit dem fröhlichen Titel Guten Tag: "Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück. Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück. Guten Tag, ich gebe zu, ich war am Anfang entzückt. aber euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht, wenn man sich bückt. Guten Tag!"

Dank Mundpropaganda, fleißigem Einsatz im Jugendradio, unter anderem auch bei FM 4, sowie mitreißenden Liveauftritten saß Sängerin Judith Holofernes allerdings schon drei Monate später nicht nur als bestauntes neues deutsches Popwunder in der Harald Schmidt Show. Im Juni wird dank Video-Dauereinsatz auf Viva und MTV auch bei einem Unterhaltungsmulti das erste reguläre Album von Wir sind Helden erscheinen.

Bis es so weit ist, müssen wir alle allerdings noch ganz fest zusammenhalten und die jetzt als Single wieder veröffentlichte Power-Pop- und Synthie-Punk-Großtat über die Geschäftskassen der Plattengeschäfte in die Hitparade bringen! Guten Tag (Die Reklamation) nämlich klingt schön zickig wie eine weitere Version der Rückkehr der Neuen Deutschen Welle. Unter besonderer Berücksichtigung von anderen derzeit hoch im Kurs stehenden NDW-Wiedergängern wie Mia oder nicht mehr ganz so jungen Originalstars der damaligen Zeit im dritten Frühling: Inga Humpe und ihre 2Raumwohnung oder Nena "Irgendwie Irgendwo Irgendwann" Kerner als sie selbst.

Nicht nur die Künstlernamen der Musiker sprechen Bände: Judith Holofernes, Jean-Michel Tourette, Pola Roy, Mark Tavassol. Auch der Sound klingt wie eine zeitgemäße Adaption alter Zeiten. Gute alte, kräftig in die Saiten gehackte Staccato-Gitarrenriffs. Eiliger Bass. Ein noch hektischer die letzte U-Bahn kriegen wollendes Schlagzeug aus der Muppets Show. Schließlich: ein äußerst sympathisch und unverfroren zwischen David Bowies Helden und Falcos Helden von Heute auf Untermiete wohnendes Keyboard.

Dazu referiert Judith Holofernes mit aufgekratzter Mädchenstimme einen der trotzigsten und unwiderstehlichsten Prostestsongs gegen die viel beschworene "Konsum- und Mediengesellschaft", seit vor über zwanzig Jahren unter der symbolischen Strahlkraft von Neonlichtern, schiefen Frisuren und spitzen Schuhen mit der Band Ideal um Ingas Schwester Annette Humpe trotz schwerer Vorwürfe bezüglich Verrat am Punk die NDW in die Charts einbrach.

"Meine Stimme gegen ein Mobiltelefon. Meine Fäuste gegen eure Nagelpflegelotion. Meine Zähne gegen Doktor Best und seinen Sohn. Meine Seele gegen eure sanfte Epilation. Es war im Ausverkauf, im Angebot, in Sonderaktion. Tausche blödes altes Leben gegen neue Version. Ich hatte es zu Hause kaum ausprobiert, da wußte ich schon, an dem Produkt ist was kaputt - das ist die Reklamation." Und weil das alles so wunderbar und herzerfrischend ist, weiter: "Meine Stimme gegen die der ganzen Talkshow-Nation. Meine Fäuste für ein Halleluja und Bohnen. Meine Zähne gegen eure zahme Revolution. Visionen gegen die totale Revolution."

Jetzt bloß nicht herumdeuteln! Selbstverständlich muss sich jede neue Generation an ihren alten Helden aus Kindertagen selber abarbeiten. Das hier ist kein müder Aufguss, hier wird auf die Essenz eingedampft. Unverschämt. Ironisch. Witzig. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.2.2003)