London: Bei umgerechnet 522.208 Euro fiel der Hammer für Marino Marinis "Caliere Rosso" bei Sotheby's.

Foto: Sotheby's

Der Kunstmarkt erlebt eine Korrektur, aber keine Krise. - Eine Zwischenbilanz zu Messen und Auktionen.


Landauf, landab bibberten die verantwortlichen Experten und der Handel, in welchem Ausmaß die Finanzkrise für den Kunstmarkt spürbar würde. Immerhin standen wichtige Auktionen auf dem Programm, eröffnen im Wochentakt die traditionellen Herbstmessen, an der Themse und der Seine genauso wie an der Isar und der Donau. In manch bangen Stunden klammerte man sich an den bisher üblichen Modus, wonach man mit den Auswirkungen tatsächlich erst in rund 18 Monaten zu kämpfen hätte. Zweckoptimismus war angesagt, Augen zu und durch.

Die Nervosität auf Käuferseite kam postwendend, bereits im Rahmen der Biennale des Antiquaire, der wichtigsten französischen Kunst- und Antiquitätenmesse, war die breite Masse zögerlich, andere zückten bedenkenlos die Kreditkarte.

Deutlich trister war die Stimmung im Rahmen der ShContemporary, zu tief saß der Schock, ob des Lehman-Crash's. Dazu kam die nahezu unüberwindbare Hürde für Inlandskäufer (und offiziellen Verkaufsmeldungen), ist Kunst in China doch mit einer 35-prozentigen Luxussteuer belegt. Anderen war die Lust am Kunstkauf kurzfristig abhanden gekommen.

Völlig gegenteilige Stimmung herrscht derzeit in London. Der Auftakt der Frieze begann vielversprechend, nach vier Öffnungstagen hatte man die gleiche Menge an Besuchern wie 2007 begrüßt (68.000). Und die Verkäufe? Auch dank der deutlich reduzierten Erwartungen der Teilnehmer bilanzierte man am Ende weit besser als erhofft: "Ausverkauft!", meldeten mehrere Galerien, darunter Lisson für Animationen von Julian Opie. Auch Ivan Wirth übte sich im Überschwang, "unsere beste Frieze jemals!". Der einhellige Tenor: Die großen Sammler lassen sich von wirtschaftlichen Turbulenzen nicht abschrecken, und endlich - seit vielen Jahren wieder - wird wieder mehr über Kunst und Inhalte gesprochen, nicht über Investitionen.

Ähnliches zwitschern auch die Münchener Spatzen vom Dach des Messegeländes, wo sich seit Samstag vergangener Woche 90 Teilnehmer zur 52. Kunst Messe München (bis 22. 10.) versammeln. Zwar sei der Publikumsandrang merklich stiller, aber das Interesse ungebrochen, besonders die Mittelware bis zu 50.000 Euro verkaufe sich hervorragend.

Zu den Debütanten gehörte Klaus Thoman, auf dem Weg Richtung Paris zur Fiac (23.-26. 10.) ließ er wissen, mit Umsatz sei er sehr zufrieden. Friedensreich Hundertwassers Tränenspirale mit Kito (320.000 Euro) könnte durchaus noch vor der nächsten Messestation in Wien den Besitzer wechseln. Weniger erfreulich betrachten die Messeteilnehmer die derzeitige Situation, mit drei nahezu zeitgleichen Kunst- und Antiquitätenevents (Munich Highlights vom 11. bis 19. 10., Fine Art & Antiques vom 22. bis 26. 10.), sei das ein hinderlicher, um nicht zu sagen völlig kontraproduktiver Eventansatz. Insgesamt scheint der Kunstmarkt von einer Flucht in Sachwerte zu profitieren. Ein Trend, dem sich Wien ab kommender Woche nur zu gern anschließen würde, angesichts der auf dem Programm stehenden Wikam (31. 10.-9. 11., Palais Ferstel & Niederösterreich) und der Hofburg Messe für Kunst und Antiquitäten (1. bis 9. 11.).

Etwas gezügelter gibt sich das Auktionssegment. Die im Umfeld der Londoner Frieze abgehaltenen Auktionen Zeitgenössischer Kunst liefen verhaltener als sonst, die Verkaufsraten schrumpften auf rund 55 Prozent. Ist es die längst fällige Korrektur eines überzogenen Hypes? Nicht gerade zur Freude des neuen russischen Eigners (Mercury Group) gereichten wohl die Resultate von Phillips de Pury, statt zumindest 24,8 Millionen Pfund spielte man spärliche acht ein.

Flucht in Sachwerte

Auch Sotheby's musste sein erwartetes Minimum von 55,27 auf 43,91 Millionen Pfund korrigieren. Die jährliche Auktion Italien Art brachte mit 13,58 Millionen (Verkaufsquote 88,5 Prozent) sogar das zweithöchste Resultat in der Geschichte des Unternehmens. Die erstmals abgehaltene Sitzung für Zeitgenössisches Design schloss unter reger Beteiligung des französischen und Schweizer Handels mit einem Absatz von knapp 60 Prozent nach Wert (1,19 Mio Pfund). Etwas besser lief es für Kontrahent Christies, die in drei Sales 48,93 Millionen Pfund bzw. umgerechnet etwas mehr als 63 Millionen Euro einspielten. Die stärkste Käufernation blieb - wie stets - Europa.

In Wien herrschte Anfang vergangener Woche ein Wanken zwischen Schock und Freude. Im Palais Kinsky hatte man am Ende der 70. Versteigerung tatsächlich kaum Grund zum Jubel. In der Sektion Alter Meister setzte man gerade einmal 28 Prozent des Angebotes ab, bei Klassischer Moderne 33 Prozent. Im Bereich Zeitgenössischer Kunst (43 Prozent) bedürfen allerdings die Highlights noch Nachverhandlungen im Wertumfang von knapp 244.000 Euro, gemessen am veröffentlichten Gesamtumsatz von netto 2,49 Millionen Euro liegt der Nachverhandlungsanteil bei 499.000 Euro.

Solche Zahlen sind aber nur eine Seite der Medaille, wie sich andere - in Ermangelung von Gegenbietern - tierisch über das eine oder andere Schnäppchen freuen durften. Der versierte Kunstkäufer weiß solche Situationen eben spontan für sich zu nutzen. Heftigem Gegenwind war vergangene Woche nur Johann Kräftner ausgesetzt.

Moritz Michael Daffingers Porträt eines Schauspielers holte er sich für 28.000 Euro, aber das Selbstporträt Friedrich von Amerlings musste man bei 45.000 Euro einem Schweizer Saalbieter abtreten und für das Mädchen mit Strohhut hatten sich mehrere Verehrer eingefunden. Unter den Augen Alfred Weidingers - das Belvedere hatte sich bis zuletzt um eine Finanzierung bemüht - stiegen die Gebote flott: Bis 300.000 war der Wiener Handel engagiert, dann übernahmen Kräftner-Stellvertreterin Alexandra Hanzl und zwei Telefonbieter die Regie. Bei 750.000 Euro ging auch Rudolf Leopold die budgetäre Puste aus.

Erst bei 1,3 Millionen netto kam das erlösende "zum Dritten" und durfte sich die Sammlung Liechtenstein über einen hübschen Zuwachs freuen. Zufriedenheit auch bei der Geschäftsführung des Dorotheums, das sich ein Wochentotal von 7,85 Millionen Euro in die Bilanz notierte.

Zudem sei der Andrang an Schnäppchenjäger, die im Angebot des Nachverkaufs stöbern, überdurchschnittlich groß. (Olga Kronsteiner / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.10.2008)