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Stellt noch immer manchen Jungstar in den Schatten: P. Boulez.

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Wien - Inmitten aller Unübersichtlichkeit zeitgenössischer Kunst gibt es Wegmarken, die aus dem allgemeinen Einerlei und Vielerlei monolithisch emporragen. Das seinesgleichen suchende Œuvre von Pierre Boulez ist ein solcher Fall.

Als Claudio Abbado am 26. Oktober 1988 mit den Wiener Philharmonikern und Kompositionen von Ligeti, Nono, Berg und Rihm die erste Ausgabe von Wien Modern eröffnete, stand auch Boulez auf dem Programm. Auf den Tag genau zwanzig Jahre später stand nun der letzte große Meister aus dem Kreis derer, die unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg die Neue Musik revolutioniert hatten, selbst auf dem Podium des Großen Konzerthaussaales, um drei Novitäten jüngerer Komponisten sowie ein eigenes Werk zu dirigieren.

Dabei zeigte sich, dass in der Kunst alles relativ ist, dass etwa auch ein älterer Herr seine Kollegen, die fast seine Enkel sein könnten, ziemlich alt aussehen lassen kann. Denn nicht nur der 83-jährige Meister wirkt erstaunlich jugendlich, sondern auch eine Komposition wie Figures - Doubles - Prismes, die immerhin mehr als doppelt so viele Jahre als das Wiener Neue-Musik-Festival auf dem Buckel hat. Bereits 1958 in einer ersten Fassung uraufgeführt, hat Boulez das Stück bis heute mehrfach überarbeitet.

Mäandernde Transparenz

Und es strahlt denn auch eine ungebrochene Aktualität aus, wenn sich im achtfach geteilten Orchester die transparent gemeißelten Figurationen entfalten, überlagern und mäandernd verwandeln. Vor allem, wenn es in einer derart glasklaren Realisation durch das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Leitung des Komponisten gegeben wird; aber auch, wenn es in unmittelbare Nachbarschaft dreier als Kompositionsaufträge der Donaueschinger Musiktage erst vor kurzem uraufgeführte Werke gerät.

Dass der Argentinier Fabián Panisello sein Aksaks als Hommage an den französischen Altmeister verstanden wissen wollte, konnte zwar den unverkennbar "boulezesken" Tonfall erklären, nicht aber, dass er seine Gedanken derart weitschweifig ausbreiten musste.

Und Enno Poppe, der im Programmbuch einige Sätze von bemerkenswert bescheidenem Reflexionsgrad beisteuerte, genügte sich wieder einmal in der Repetition - zwar bunt gefärbter - altbekannter Floskeln, die er diesmal Altbau nannte. Als solchen sieht er nämlich das Orchester, dessen Fassaden er lieber "unsaniert" lassen als "mit einem aprikosenfarbigen Neuanstrich" versehen wolle; sein Stück wirkte kaum origineller als diese Ausführungen.

Einzig Ich und Du von Isabel Mundry konnte voll und ganz überzeugen, indem eine von Thomas Larcher gespielte Klavierstimme in einen sinnlichen und sinnigen Dialog mit dem Orchester trat. Hier öffnete sich eine Perspektive, wie es mit einer komplexen, aber durchhörbaren räumlichen Klangentfaltung vielleicht in Zukunft weitergehen könnte. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 28.10.2008)