Gerti Senger

Foto: Christian Mastalier

"Ich arbeite einfach zu gern, um von irgendetwas oberflächlich genervt zu sein", meint Gerti Senger im E-Mail-Karriere-Telegramm von derStandard.at. Im Schnitt kommt die Psychologin und Publizistin auf 60 bis 70 Stunden pro Woche. In zehn Jahren sieht sich die 66-Jährige noch in ihrer Praxis. Die "Pionierin in puncto sexueller Aufklärung" hat 18 Bücher geschrieben. Ihr jüngstes Werk heißt "Die Beziehungsmaschine - Heilen statt reparieren" und ist im Oktober erschienen.

derStandard.at: Wie sieht der typische Arbeitstag von Gerti Senger aus?

Senger: Mein Arbeitstag ist sehr strukturiert. Knapp vor sieben Uhr Aufstehen, sieben Uhr Frühstück, wenn mein Mann in Wien ist, gemeinsam mit ihm. Wir frühstücken ziemlich lange, fast eine Stunde, und besprechen den Tag - welche Termine haben wir, was kann oder muss wer für den Haushalt tun, und so weiter. Nach Obst, Kaffee und Duschen bereite ich mich auf Büro- und administrative Erledigungen vor.

Kurz vor neun kommt meine Sekretärin und wir arbeiten eine Stunde gemeinsam. Meistens habe ich dann noch am Vormittag ein, zwei Einzeltherapien. Mittags eine knappe Stunde für einen Salat, vielleicht gemeinsam mit meinem Mann. Bis zu den Nachmittags-Therapien schreibe ich. Die Psychotherapie-Sitzungen sind so um 19 Uhr beendet. Leider wird es immer sehr spät, weil der private Teil des Tages ja immer erst spät beginnt.

derStandard.at: Wie viele Stunden arbeiten Sie im Schnitt pro Woche?

Senger: Ich hab noch nie wirklich nachgerechnet, aber es sind sicher 60, 70 Stunden. Ich arbeite auch Samstag und Sonntag, je nachdem, was gerade aktuell ist - Seminar- oder Vortragsvorbereitungen, Schreibarbeit, in Ausnahmefällen nehme ich auch ein Paar, das aus den Bundesländern kommt.

derStandard.at: Wie entspannen Sie sich vom beruflichen Stress?

Senger: Wann immer es möglich ist, sitze ich mit meinem Mann bei einem Glaserl Wein zusammen, nachdem ich noch - leider spät - gekocht habe oder wir kochen gemeinsam. Wir reden viel und über alles, gehen mit Freude und regelmäßig ins Theater und bekochen gerne Freunde. Lesen ist für mich Entspannung, Leidenschaft und Befriedigung meiner unersättlichen Neugier.

derStandard.at: Welches Erfolgsgeheimnis haben Sie, um Berufliches und Privates zu vereinbaren?

Senger: Mein oder unser großes Glück ist, dass mein Mann mehr als nur höfliches Interesse für meinen Beruf als Psychologin und Therapeutin hat. Er ist vom Stammberuf her Krawattier, hat aber schon vor Jahren zusätzlich eine Ausbildung als Lebensberater gemacht. Dadurch gibt es bei uns keine scharfen Grenzen zwischen Beruf, Privat und Freizeit.
Wir achten beide darauf, dass wir trotz der vielen Arbeit, immer wieder bewusste Inseln für tiefe Gespräche schaffen. Davon abgesehen, kann ich den "Freizeit-Zwang", den manche Menschen haben, sowieso nicht nachvollziehen.

derStandard.at: Wer oder was nervt Sie in Ihrem Job am meisten?

Senger: Nachdem ich in meinen zwei Berufen - Psychotherapeutin und Kolumnistin - freiwillig und mit Begeisterung für alles selbst verantwortlich bin, nervt mich wirklich nichts. Ich arbeite einfach zu gern, um von irgendetwas oberflächlich genervt zu sein.

derStandard.at: Was war Ihr bis jetzt größter Karriereerfolg und was war der größte Karriereflop?

Senger: Der größte Karriereerfolg war - zumindest subjektiv - mein erstes Buch "Was heißt schon frigid?" Es war auf Anhieb ein Bestseller und wurde in acht Sprachen, sogar ins Hebräische übersetzt. Gleich bedeutend ist mir mein letztes Buch "Die Beziehungsmaschine - Heilen statt reparieren". Zwischen den beiden Büchern liegt meine persönliche und berufliche Entwicklung. Der größte Karriereflop war mein zweites Buch "Gute Männer sind so". Der Verlag wollte es, ich hab es zu schnell gemacht und es kam zum falschen Zeitpunkt, nämlich 1982.

derStandard.at: Wie definieren Sie Erfolg?

Senger: Anerkennung zu bekommen für etwas, was man versteht, bewältigten kann und Freude daran hat.

derStandard.at: Wie vielen Leuten haben Sie ungefähr schon bei ihren sexuellen Problem geholfen?

Senger: Das kann ich in Zahlen nicht sagen. Schreiberisch war ich ja sicher eine Pionierin in punkto sexueller Aufklärung und habe ordnerweise Briefe von Frauen und Männern, denen ich mit einem Gedanken oder einer Information sexuell weiter helfen konnte. In meiner mehr als zwanzigjährigen Praxis habe ich nie eine plus/minus-Rechnung gemacht. Vielleicht deshalb, weil sich das gerade bei einem so komplexen Thema wie es sexuelle Fragen und Probleme sind, gar nicht exakt machen lässt.

derStandard.at: Was möchten Sie an Ihrem Job nicht missen?

Senger: Die tiefe Begegnung mit Menschen und der Moment, in dem es mir gelingt, eine komplizierte Sachlage einfach zu formulieren.

derStandard.at: Braucht es ein spezielles Rezept, um als Frau in der Männerdomäne zu reüssieren?

Senger: Mach Dich nicht klein, weil Du eine Frau bist. Zeig, was Du kannst, aber vergiss nicht, dass Du auch eine Frau bist.

derStandard.at: Haben Sie ein berufliches Vorbild?

Senger: Nein.

derStandard.at: Was wollten Sie als Kind werden?

Senger: Ich habe mit zehn Jahren einer der wenigen, damals existierenden Wochenzeitungen einen Vorschlag gemacht, wie eine Seite für Kinder mit Rat, Information und Unterhaltung aussehen könnte. Im Grunde bin ich diesen Impulsen treu geblieben.

derStandard.at: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Senger: In meiner Praxis.

derStandard.at: Welche Zeitungen und Zeitschriften lesen Sie?

Senger: Ich habe viele Psychologie und Therapie-Fachzeitschriften abonniert. Ansonsten lese ich Zeitungen und Magazine je nach Appetit, Neugier und Laune sehr gemischt, was mich thematisch gerade anspringt.

derStandard.at: Welchen Stellenwert hat Weiterbildung für Sie?

Senger: Einen außergewöhnlich hohen. Weiterbildung zu ignorieren bedeutet Stagnation. In meinen Augen wäre das nicht nur eine persönliche Verarmung, sondern auch unverantwortlich gegenüber den Menschen, die mir ihr Vertrauen schenken. (om, derStandard.at, 3.11.2008)