Wien - Die schöne Bilanz, die sich nach diesem Gastspiel der Staatskapelle Berlin ziehen lässt, zwingt auch zu einer Prognose - es wird ein impulsives Neujahrskonzert der Philharmoniker. Daniel Barenboim, der es leiten wird, hat auch am Sonntag gezeigt: Er ist der theatral sinnstiftende Instinktmusiker, der gerne gestische Ausrufzeichen setzt. Bei Mahlers fünfter Symphonie führt das (bei flotten Tempi) jedoch nicht nur ins Effektvolle.

Barenboim ist einfach ein kalkulierender Architekt des Ausdrucks; in seiner Philosophie kommt dem Kontrast und dem extremen Wechsel eine zentrale Rolle zu. So erlebt man den zweiten. Satz als wilde Angelegenheit, steht im dritten wiederum vor magischen Momenten des Innehaltens und bewundert dann, wie er im Adagietto vom Klaren zum Fieberhaften gelangt - der gestische Aufwand scheint dann rechtfertigt.

Pierre Boulez braucht das nicht und doch: Seine Version der vierten Symphonie versprüht Leichtigkeit, Klarheit, hat Präsenz. Boulez konzentriert sich auf die linearen Vorgänge und die harmonischen Eigenheiten, die sich aus Überlappungen von Ereignisse ergeben. Erhellend.

"Ein gewaltiges Tonstück, erfüllt von leidenschaftlichem Empfinden und beherrscht von tiefinnerlicher Trauer", schrieb Mahler über den ersten Satz seiner zweiten Symphonie. Boulez ballte mit der Staatskapelle die "Auferstehungssymphonie" zum existenziellen Bekenntnis. In der dritten Reihe Parkett ließen sich zwar manche Feinabstimmungen, im Holz etwa, nicht genau heraushören, aber die Emphase des Musizierens war doch hautnah zu spüren.

Die erste Attacke der Streicher legte das Fundament für das dramatische Wechselspiel zwischen der Unerbittlichkeit des Schicksals und der Hoffnung auf Erlösung. Angesichts der aufwühlenden Dramatik empfahl Mahler nach dem ersten Satz eine "Pause von mindestens fünf Minuten". Die Berliner gewährten im Andante moderato Erholung, im flott musizierten dritten Satz blitzte kurz beschwingter Humor auf. Ebenmäßig und innig kündete Petra Lang im "Urlicht" von des Menschen Not und Pein und lockte stimmlich "wieder zu Gott."

Dorothea Röschmann schien mit Respekt vor der Größe des ewigen Lebens zu stehen; Intonationssicherheit und Wortdeutlichkeit wichen zurück. Eingebettet in den klar artikulierenden und in prächtigen dynamischen Abstufungen agierenden Singverein fügte sich das "Aufersteh'n" aber dennoch zur frohen wie nachdenklich stimmenden Botschaft, vor der das Publikum mit promptem Applaus auswich.

Nicht wenig Begeisterung weckte am Sonntag auch Thomas Quasthoff bei Mahlers Rückert-Liedern. Zu Beginn überraschend fragil, bäumte sich der Bariton bei Um Mitternacht kraftvoll auf und versöhnte dann schließlich als sanft und kantabel der Welt abhanden Kommender. (tos, pch, DER STANDARD/Printausgabe, 03.11.2008)