Unsichtbare Systeme: 2300 Kilometer Leitungen und Rohre befinden sich allein unter der Stadt Wien. Veränderungen müssen gut geplant sein.

Wenn in unseren Wohnungen das Wasser aus Toilette oder Badewanne im Abfluss verschwindet, macht sich kaum jemand darüber Gedanken, welche komplexe Infrastruktur nötig ist, um die Abwässer einer Millionenstadt wie etwa Wien zu entsorgen; gar nicht zu sprechen von den Abwasserflüssen und Anforderungen an die Wasserversorgung, die unterirdische Leitungs- und Kanalsysteme in weitaus größeren Megacitys zu bewältigen haben.

Allein unterhalb von Wien befinden sich 2300 Kilometer öffentlichen Kanalnetzes, was einer Strecke von Wien nach Kairo entspricht. Viele dieser Kanäle haben ein eiförmiges Profil: Oben sind sie eher breit, um auch bei heftigem Regen den Schwall der Wassermassen fassen zu können, unten haben sie einen schmalen Durchmesser, damit Wasserstrom und Fließgeschwindigkeit auch bei trockenem Wetter ausreichen, um Feststoffe weiterzutransportieren.

Heftiger Starkregen kann jedoch trotzdem dazu führen, dass Kanäle die Wassermassen nicht mehr fassen können, sodass verschmutztes Wasser in Bäche oder Flüsse gelangt. Verschiedene Methoden der Gestaltung eines Kanalsystems, beispielsweise Speicherbecken, Schieber und Wehre, dienen dazu, solche Ereignisse möglichst zu vermeiden.

Ein Wissenschafterteam um Wolfgang Rauch am Institut für Infrastruktur der Universität Innsbruck entwickelt derzeit im Rahmen des Projekts "Virtual Infrastructure Benchmarking" eine Software, mit der es möglich sein wird, nicht nur lokale Netzwerke, sondern ganze Städte samt ihren Infrastruktursystemen (Kanäle, Wasserleitungen etc.) virtuell zu generieren. So können verschiedene Ausbauszenarien auf ihre Auswirkungen hin untersucht werden, von der Neigung der Rohrleitungen bis hin zu klimatischen Faktoren.

Klima und Wasser

Tatsächlich spielt das Klima für das Funktionieren von Wasserversorgung und Kanalisation eine bedeutende Rolle, wie auch die Zusammenarbeit der Innsbrucker mit Experten der Universität Melbourne zeigt. Während in unseren Breiten eher die Frage im Mittelpunkt steht, wie das Kanalsystem die großen Wassermassen bei Starkregen am effektivsten aufnehmen und ableiten kann, liegt der Schwerpunkt in australischen Großstädten, die mit Trockenheit, Bevölkerungswachstum und steigendem Wasserverbrauch konfrontiert sind, vorwiegend im Bereich Wasserversorgung.

Die Software aus Innsbruck - finanziert durch die Forschungsförderungsgesellschaft FFG und eine Startfinanzierung von proIT, einem Programm zur Prototypenförderung von transIT und CAST - soll nun helfen, die Funktionen und den Ausbau solcher Leitungsnetze zu optimieren.

Tausende Ausbau- und Klimaszenarien ermöglichen es, allgemeingültige Prinzipien abzuleiten. 2007 gab es schon erste Vorarbeiten in diese Richtung, Anfang 2008 begann dann die eigentliche Entwicklung der Software zur Simulation virtueller Städte. Wenn sie Ende dieses Jahres einsatzbereit ist, können in kurzer Zeit mögliche Netzausbau- und Klimaszenarien miteinander verglichen werden.

Modelle und Prognosen

Im kommenden Jahr soll eine weitere Software erstellt werden, mit der nicht nur virtuelle, sondern auch real existierende Städte samt Infrastruktursystemen modelliert und optimiert werden können. Damit lässt sich etwa prognostizieren, wie sich eine Informationskampagne zur Reduzierung des Wasserverbrauches auf den Wasserkonsum und auf die Schmutzstoffkonzentration im Kanalnetz auswirken wird.

"Es ist schwierig, ein bestehendes unterirdisches Leitungs- oder Kanalisationssystem zu verändern" , erklärt Thomas Ertl, Experte am Institut für Siedlungswasserbau der Universität für Bodenkultur in Wien. Bei Abwanderung von Bevölkerung könne man zwar in einen großen Kanal engere Rohre einschieben, um eine ausreichende Transportgeschwindigkeit zu erzielen, eine Ausweitung eines bestehenden Kanals aufgrund von Stadterweiterungen sei aber schwierig, nicht zuletzt wegen der vielen anderen im Erdreich liegenden Rohre und Leitungen.

Stattdessen können Stauräume angelegt werden, die kurzfristig große Abwassermengen aufnehmen und erst später zur Kläranlage weiterleiten, wenn dort Kapazitäten frei sind. Ebenso ist die Steuerung der Durchflussmenge in Kanälen mittels Schiebern und Wehren ein Thema, das in der Zukunft große Bedeutung bekommen wird. Alle diese Methoden können mit der Innsbrucker Software simuliert werden, um die optimale Positionierung von Speicheranlagen und Wehren herauszufinden.

Auch in der Bundeshauptstadt gibt es übrigens zwei große Speicheranlagen unter dem Wienfluss und dem Liesingbach, die beide im Jahr 2005 im Rahmen des "Abwasser- und Gewässerschutzprogramms" in Betrieb genommen wurden. Bei heftigem Regen schwappt der Überlauf der parallel zum Fluss verlaufenden Kanäle nun nicht mehr in Wien und Liesing, sondern fließt in große unterirdische Speicherröhren, was die Wasserqualität der Flüsse erheblich verbessert. (Gerhard Hertenberger/DER STANDARD, Printausgabe, 05.11.2008)