EU-Kritik war in den letzten Jahrzehnten auf beiden Seiten des politischen Spektrums in Mode. Die Argumente unterscheiden sich, aber die Konsequenz ist die selbe.

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Am 9. April 2008 waren sich Gruppen inhaltlich ganz, ganz nahe, die sonst so gut wie nichts miteinander gemein haben. In der linken und der rechten Ecke des politischen Spektrums war man sich einig: Die Ratifizierung des EU-Reformvertrags im österreichischen Parlament müsse verhindert werden. In den Wochen vor dem Nationalratsbeschluss waren Demos und Proteste gegen das Vertragswerk an der Tagesordnung.

Trommeln und Transparente

Einerseits mobilisierte die linke globalisierungskritische Gruppe ATTAC gemeinsam mit diversen Organisationen der Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite stand "Rettet Österreich", die rechte und EU-kritische Bürgerinitiative von Hans Dichands Gnaden. Bei diversen von der linken "Plattform Volxabstimmung" organisierten Demos trafen dementsprechend auch zwei Welten aufeinander. Während die Linken mit Kind und Kegel, Trommeln und Transparenten über die Wiener Mariahilferstraße schlenderten, hatten die Rechten unangenehme Subjekte mit Bomberjacken und Deutschlandfahnen mitgebracht.

Die Kronenzeitung entschloss sich, die Demonstration groß zu bewerben. Das ergab linke Globalisierungskritiker neben Pensionisten mit Kronenzeitungs-Schirmkappen, Steierhüte neben Dreadlocks, Österreichfahnen neben Che Guevara-Shirts. Die bunte Mischung sorgte für Verwirrung - auf beiden Seiten. Die Plattform Volxabstimmung distanzierte sich von den rechten Beteiligten, die Kronen Zeitung schwieg dafür die linken Organisatoren der Demonstrationen tot und heftete sich die Aktion auf die eigenen Fahnen. Aber manch einer erkannte auch den Sinn der unerwarteten Alianz: Transparente mit den Aufschriften wie etwa "Links? Rechts? Zählt nicht mehr! Jetzt halten wir zusammen" waren ebenfalls zu sehen. Im Parlament wetterten FPÖ und BZÖ gegen den Vertrag, die Grünen stimmten "mit Vorbehalten" zu, SPÖ und ÖVP waren dafür.

EU-Kritik in Mode

Aber woher kam die plötzliche Einigkeit von Rechts und Links - zumindest in der Sache, wenn auch nicht ideologisch? EU-Kritik war in den letzten Jahrzehnten auf beiden Seiten des politischen Spektrums in Mode. Die Argumente unterscheiden sich, aber die Konsequenz ist die selbe: So, wie sie siech entwickelt hat, will man die Europäische Union nicht haben. Viele Argumente finden sich bei beiden wieder: Einerseits die Angst vor dem Verlust der Neutralität und vor einer Aufrüstungsverpflichtung, andererseits die Warnung vor einem Fortschreiten des Neoliberalismus in der Union. Auch vor Sozialabbau warnen beide Seiten. Kurz gesagt: Was die Kritikpunkte angeht, ist man sich weitgehend einig: Die EU muss anders werden. Wo die Unterschiede zwischen Links und Rechts liegen? In der Motivation. Während FPÖ und "Rettet Österreich" mit Rufen nach "Vorrang für Österreich" und Warnungen vor der "EU-Diktatur" an das nationale Bewusstsein und das Bauchgefühl appellieren, steht bei den linken Gruppierungen und Teilen der Grünen nicht der nationale, sondern der soziale Aspekt im Vordergrund. Man fordert mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung, eine stärkere Sozialunion.

Der Schock über die unerwünschten Allianzen war jedenfalls groß. Vor allem auf der linken Seite betonte man, sich von der rechten Vereinnahmung zu distanzieren. Es bleibt (unabhängig vom Thema) eines der größten Tabus in den unendlichen Weiten des politischen Spektrums: Dass man sich mit dem Erzfeind auch einig sein kann, kratzt an der eigenen Identität. (Anita Zielina, derStandard.at, 7.11.2008)