Wien - Wien Modern ist anders. Wo sonst lauschen bitte, während draußen die neoliberale Leuchtreklame dämmert, an die 100 Menschen aufmerksam einer einstündigen Rede von Fidel Castro? Zugegeben, nicht im Original, sondern in einer Fassung, die durch den Komponisten Peter Ablinger von der Schallplatte auf ein computergesteuertes Klavier übertragen wurde. Aber macht das die Sache nicht noch merkwürdiger?

Mag sein, dass es ästhetisch Befriedigenderes gibt, aber in einem solchen Experiment lässt sich einiges über die eigene Wahrnehmung erfahren: Langsam glaubt man, einzelne Worte ausfindig zu machen, einen Kratzer auf dem Vinyl zu hören oder jenen Ruck zu vernehmen, den die Nadel beim Absetzen von der Platte verursachte.

Wie das menschliche Hirn mit Klängen umgeht, was beim Hören geschieht und wie Hirnwellen hörbar gemacht werden können, dem ging heuer ein Schwerpunkt zum Thema "Musik und Gehirn" nach. Alvin Lucier nutzte etwa seine eigenen Hirnströme, um Schlaginstrumente zu betreiben. Oder Hans-Ullrich Balzer führte bei einem Symposion an der Musikuniversität vor, wie sich ein Hörer allmählich mit einem Musikstück "synchronisiert" und seine Körperfunktionen anpasst. Insgesamt also ein Thema, das wohl auch den im Vorjahr verstorbenen, bisweilen als "Kopfmusiker" gescholtenen Karlheinz Stockhausen nicht kalt gelassen hätte, der seinerseits Grundlagenforschung an Schallwellen betrieben hatte und dessen frühen Werke immer noch eine gewaltige Sprengkraft besitzen.

Dies machte unter anderem das Klangforum Wien unter der Leitung von Etienne Siebens anhand von Stockhausens Kreuzspiel deutlich, um sich dann der Uraufführung des diesjährigen Erste-Bank-Kompositionsauftrags zu widmen, der nicht gerade an einen Nachwuchskomponisten, sondern an den 71-jährigen Gösta Neuwirth ging - auch für sein eher im Verborgenen blühendes Lebenswerk. L'oubli bouilli mutete dem Publikum mit seiner schwermütigen, herbstzeitlosen Stimmung denn auch einige Anstrengung zu, während es die fantastische Sopranistin Donatienne Michel-Dansac verstand, wie ein rettender Strohhalm aus tiefer Trübheit hervorzuragen.

Noch bis Sonntag läuft die heurige Ausgabe von Wien Modern: Bevor das Festival mit dem Musiktheater Arbeit Nahrung Wohnung von Enno Poppe in die Zielgerade geht (Museumsquartier, 16. 11.), kann man etwa denselben Komponisten als Dirigenten des Klangforum erleben (Konzerthaus, 13. 11.) oder dem Nouvel Ensemble Moderne Montréal begegnen (Schömer-Haus Klosterneuburg, 15. 11.).

Für die Zukunft plant der künstlerische Leiter Berno O. Polzer vermehrt Porträts jüngerer Künstler sowie eine Fortsetzung der Reihe "Musik und Gehirn", um "Themen, die die Neue Musik betreffen, in neuem Licht zu betrachten". (daen/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 11. 2008)