Leoben - Warum werden Jugendliche kriminell? Und was kann dagegen getan werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die neu erschienene Studie "Lebenswelten junger inhaftierter Straftäter mit Migrationshintergrund - Ansatzpunkte für Prävention".

Initiiert wurde sie vom Verein Soziale Gerichtshilfe, umgesetzt von den Studentinnen Teresa Peintinger und Sana Shah. "Hinter Straffälligkeit steht eine Entwicklung, die schon im Kleinkindalter beginnt. Dieser Entwicklung muss frühestmöglich entgegengewirkt werden", betont Peintinger.

Die beiden befragten 56 straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Justizvollzugsanstalten Wien-Josefstadt und Gerasdorf.

Die Interviews zeichnen ein Bild von emotional vernachlässigten und an den Rand der Gesellschaft getriebenen Jugendlichen. Die heranwachsenden Inhaftierten verbrachten ihre Zeit mit Freunden auf der Straße, beim "Herumhängen" in Einkaufszentren, öffentlichen Parks oder Spielhallen: "Wir waren wie Straßenkinder."*

Früher verhältnisfällig

Die meisten der Interviewten fielen bereits sehr früh vor allem durch häufiges Schuleschwänzen und Raufereien mit Mitschülern auf. Dieses Verhaltensmuster lässt sich durch die erlebte Ausgrenzung seitens der Mitschüler, Diskriminierungserfahrungen durch das Lehrpersonal und eine fehlende Lerntradition zu Hause erklären.

Die Jugendlichen waren selten von direkten materiellen Nöten betroffen, eher von den Zwängen einer Kultur des Habenwollens und einer Gesellschaft, die großen Wert auf Statussymbole legt: "Man will cool sein. Man will zeigen: Ich hab Geld, ich kann alles bezahlen."*

Bei den begangenen Straftaten dominieren jene der Gewaltkriminalität, vor allem Raub. Dieses Delikt ist oft im Zusammenhang mit Körperverletzung und Drogenkriminalität aufgetreten. 30 der Jugendlichen gaben zu, an einem Suchtproblem zu leiden, fast alle in Bezug auf illegale Drogen.

Statistiken der letzten Jahre, beispielsweise die gerade publizierte Kriminalitätsstatistik, deuten darauf hin, dass immer mehr Jugendliche kriminell werden. Ein individuelles Problem? Für die Studienautoren ist es vielmehr ein Alarmzeichen falscher gesellschaftlicher Entwicklungen.

Bereits im Kleinkindalter müsse bei auffälligen Entwicklungen mit sozialpädagogischen Maßnahmen reagiert werden. "Hier fehlen ausreichende Angebote vom Staat", kritisiert Peintinger. Sie plädiert für ein verpflichtendes Kindergartenjahr und Ganztagesschulen.

Macht es Sinn, kriminelle Jugendliche, teilweise sogar Minderjährige, von der Gesellschaft wegzusperren, um sie mit "noch Kriminelleren" einzusperren? "Einen jungen Menschen, verstehen Sie, mit 17 Jahren, sperrt man so lang ins Gefängnis. Der kommt net als normaler Mensch, sondern der kommt raus mit noch mehr Plänen für andere Sachen"*, sagt ein Inhaftierter. Das Wesen des Jugendstrafvollzugs darf nicht Rache, sondern muss Hilfestellung sein. (Christine Drechsler/DER STANDARD, 18.11.2008)

*Die Passagen sind Zitate der Interviewpartner aus der Studie.