Am 3. Dezember um 19 Uhr präsentiert Astrid Becksteiner-Rasche eine dreibändige Publikation zum Gesamtwerk Kriesches; und Kriesche schenkt dem Joanneum seine "skulptur global".

Foto: Kunsthaus Graz

Graz - Mitte April rief mich Richard Kriesche an. Der von ihm engagierte Schauspieler sei krank geworden, sagte er, aber das Studio in Wien stünde nur mehr anderntags zur Verfügung, und er bitte mich einzuspringen. Ich hätte nichts anderes zu tun, als den Artikel 1 der Menschenrechte aufzusagen. Meine Zweifel zerstreute er. Und Richard Kriesche eine Bitte abzuschlagen: Das konnte ich nicht.

Er hat Mitschuld, dass ich mich als Gymnasiast für die Kunst zu interessieren begann. Das war Mitte der 70er-Jahre in Graz. Mit befreundeten Künstlern betrieb Kriesche im Palais Attems das AVZ, das audiovisuelle Zentrum, eine absolute Novität. Hätte die Stadt damals ein wenig Geld in die Hand genommen: Die Ars Electronica würde heute wohl in Graz stattfinden.

Der Medienkünstler Richard Kriesche prägt seither das steirische Kulturleben: Er gestaltete Werbespots für Humanic, die, wie jene von Roland Goeschl, für Erregung sorgten; er präsentierte 1997 beim steirischen herbst die Ausstellung Animal Art, die auch auf Unverständnis stieß; er kommunizierte 1991 mit "unseren" Mir-Astronauten im All und ließ die Datenflüsse zu einer Skulptur brennen, die am Schlossberg steht.

Und er ist nach wie vor der einzige österreichische Künstler, der von der Biennale Venedig ausgezeichnet wurde. Für eine "telematische Skulptur": eine Eisenbahnschiene, angetrieben durch Impulse über das Internet, durchstieß 1995 die Mauer des Österreichischen Pavillons.

Mitte April also drehte Richard Kriesche in Wien. Immer wieder sagte ich die Sätze auf: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen."

Nun ist der 30-Sekunden-Spot, hergestellt im Auftrag des ORF Steiermark, fertig: Ich stehe am Kaiser-Josef-Markt in Graz, rundum Passanten, und während ich den Text aufsage, verwandelt sich mein Körper in eine Struktur aus Buchstaben und Schriftzeichen. Die Kamera dringt in diese ein, rast durch sie hindurch. Aus dieser Struktur schuf Kriesche in der Folge eine sehr filigrane Skulptur: einen Preis der Menschenrechte.

Stadt der Menschenrechte

Dieser hätte nächste Woche in Graz, seit 2001 "Stadt der Menschenrechte", übergeben werden sollen: Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Erklärung der Menschenrechte. Doch nun plant man im ORF Größeres: Zusammen mit der Universität soll ein eigener Lehrstuhl geschaffen werden. Die Preisverleihung verschob man daher auf den Mai 2009.

Abgebildet werden darf die Skulptur noch nicht. Richard Kriesche zeigte sie mir aber - anlässlich seiner Ausstellung Capital + Code im Grazer Kunsthaus: Sie ist ein - unbeabsichtigter - treffender Kommentar zur Finanzkrise. Aus acht Projektoren, die auf Schienen über den Köpfen kreuz und quer gleiten, werden mittels einer Visualisierungssoftware, die auch an der Börse zum Einsatz kommt, permanent aktualisierte "Fieberkurven eines schwankenden Marktes" auf die bauchigen Innenwände der "blauen Blase" geworfen.

Weil die Bilder immerzu in Bewegung sind, kann man aus ihnen keine Schlüsse ziehen. Man weiß nur: Es ist alles sehr kompliziert. Zumal aus allen Richtungen Wirtschaftsnachrichten zu hören sind. Aber man kann sich zumindest einen Überblick verschaffen. Denn im Raum verteilt gibt es drei Kanzeln aus Holz. Wenn man sie erklimmt, befindet man sich auf Augenhöhe mit den Maschinen.

Kriesche setzt mit Aesthetics of Capital seine Arbeit konsequent fort: Einerseits bringt er Förderbänder des Logistikunternehmens Knapp zum Einsatz, für das er 2000 eine Installation schuf. Und andererseits erinnert er an seinen Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr 2003. Damals ließ er neben der Pestsäule einen Lift errichten: Oben angelangt, war man in Augenhöhe mit der Marienstatue.

Weder auf die eine noch auf die andere Arbeit verweist die Mini-Retrospektive, zu der man sich entschlossen haben dürfte, um dem Zuschauer mehr zu bieten als "nur" eine Installation. Wer Kriesche nicht kennt, erhält aber einen brauchbaren Überblick über dessen vielfältiges Schaffen seit den 60er-Jahren mit spätkonstruktivistischen Numerischen Systemen. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 02.12.2008)