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Die Hochzeiten der Raves sind vorbei, die für die Szene designten Drogen sind geblieben.

Foto:REUTERS/Paulo Whitaker

Noch sind die Tanzflächen leer. Keine Technobeats, keine Lasershow, keine schwitzenden Menschen mit riesigen Pupillen. Noch zwei Stunden, dann wird die Party steigen. Dann werden an die tausend Körper im Schein von UV-Röhren zu sphärischen Klängen und dumpfem Bassgedröhne zucken.
Der Veranstalter möchte ungenannt bleiben, sein Name soll nicht mit Drogen in Verbindung gebracht werden. Auch wenn unter seinen Gästen der Konsum von so genannten Freizeitdrogen eher die Regel ist, als die Ausnahme: Weil Pillen und Pulver auf einer Technoparty beinahe so alltäglich sind, wie die Maß Bier am Oktoberfest, hat er Roland Reithofer eingeladen. Der 36-Jährige, in Baggypants und Kapuzenpullover kaum von den Partygästen zu unterscheiden, ist mit einer Handvoll Mitarbeitern gekommen. Ihr Auftrag: Drogen auf ihre Inhaltsstoffe zu überprüfen und die Gäste über Wirkung und Risiken zu informieren.

Reithofer ist diplomierter Sozialarbeiter und seit knapp einem Jahr Leiter von "Check it!", ein gemeinsames Projekt des Vereins Wiener Sozialprojekte und des Klinischen Institutes für medizinische und chemische Labordiagnostik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Seit nunmehr elf Jahren bauen seine Mitarbeiter Infostand und mobiles Labor auf diversen Technofesten auf, rund 15 Mal im Jahr.

Freizeitdrogen für Partystimmung

Etwa vier Jahre nachdem in den Simmeringer Gasometern die ersten Triple-X-Raves stattfanden, rückten "Check it!" im Frühjahr 1997 erstmals mit einem Team von Sozialarbeitern, Toxikologen und Chemikern aus, um die Drogen, die die Partybesucher zu konsumieren gedachten, vorher auf ihre Inhaltsstoffe zu untersuchen.

Die Hochzeiten, als sich auf Raves Zehntausende zu Stroboskopblitzen, Nebel und Technobeats die Nächte um die Ohren tanzten sind längst vorbei, die "Gazometer" geschlossen und in Wohnhäuser umgebaut. "Heute ist die Szene nicht unbedingt kleiner, aber diverser", sagt Reithofer. Anstatt wie Ende der 1990er durchschnittlich weit über hundert Proben pro Partynacht zu analysieren, sind es gegenwärtig nicht einmal die Hälfte. "Das heißt aber nicht, dass weniger konsumiert wird."

Die für die Szene designten Drogen sind geblieben. Mercedes, Rolex, Versace, Chanel oder Dolce & Gabbana - was sich wie die crème de la crème der Luxusmarken liest, ist auch unter einer sperrigeren Bezeichnung bekannt: Methylen-Dioxy-Methyl-Amphetamin (MDMA), landläufig auch "Ecstasy" genannt. Geschluckt um wacher zu werden, um die Laune zu heben, um die Party rauschender zu machen. Ebenso wie "Flüssiges", "Schnelles","Hohes" oder "Tiefes": Gammahydroxybuttersäure (GHB) oder "Liquid Ecstasy", Amphetamin, Kokain, Heroin.

An diesem Abend haben sich deshalb am anderen Ende der Halle drei Chemiker eingerichtet. Abgeschirmt durch einen schweren Vorhang steht eine Waage auf einem Tisch, die geringste Gewichtseinheiten messen kann, daneben Halterungen mit dutzenden leeren Proberöhrchen. Hier könne die mitgebrachten Pillen und Pulver zur Analyse abgegeben werden. 28 der geschätzten 800 Besucher werden dieses Angebot später annehmen.

Einzigartig in Europa

Das Wiener Projekt ist in seiner Arbeitsweise nahezu einzigartig in Europa. Und nicht nur jenseits der Landesgrenzen, auch innerhalb von Österreich gibt es keine vergleichbare Einrichtung. Zwar bildet das Suchtmittelgesetz (SMG) von 1998 den bundesweiten Rahmen der heimischen Drogenpolitik, die Gestaltung und Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen obliegt aber den einzelnen Bundesländern. Diese verfügen über unabhängige Drogenkonzepte und Drogenkoordinatoren. Wien hat diesbezüglich bereits vor zehn Jahren einen liberaleren Weg eingeschlagen, als der Rest des Landes: den so genannten "Wiener Weg" ("Therapie statt Strafe").
"Check it!" betreut deshalb gelegentlich auch Veranstaltungen in anderen Bundesländern, etwa das dreitägige Festival für elektronische Musik "Urban Art Forms", das einmal jährlich im burgenländischen Wiesen stattfindet.

Europaweit verfügt lediglich die Schweiz über eine ähnliche Einrichtung, die sozialarbeiterische Betreuung, wie sie in der "Homebase" von "Check it!" im sechsten Wiener Gemeindebezirk angeboten wird, und Substanzanalyse verbindet. Die Besonderheit hierzulande liegt vor allem in den technischen Analysegeräten, die der Institutsvorstand und wissenschaftliche Leiter des Projekts, Rainer Schmid gemeinsam mit seinem Team über die Jahre entwickelt hat: Das monströse Gerät - ein System, basierend auf Flüssigkeitschromatographie und Massenspektrometrie -  das einst nur mittels LKW bewegt werden konnte, haben sie zu einem mobilen Labor umgebastelt, das es ihnen erlaubt, die Analysen vor Ort durchzuführen und dadurch Zeit zu sparen. Zeit, die darüber entscheiden kann, ob ein Klient die Drogen voreilig konsumiert, weil das Testergebnis zu lange auf sich warten ließ.
Zusätzlich können die Mitarbeiter von Toxikologen Schmid auch beigemischte Substanzen identifizieren, die unter Umständen giftig sein könnten.

Analysemethoden, wie sie beispielsweise in den Niederlanden eingesetzt werden, können nur das Vorhandensein von Amphetamingruppen bestätigen. "Check it!" hingegen analysiert die genauen Inhaltsstoffe und gibt die Daten an ein EU-weites Frühwarnsystem weiter. "Wir sind gewissermaßen die Taschenlampe, die den Schwarzmarkt ausleuchtet", sagt Reithofer. "Es ist Forschung, die allen dient."
Die erhobenen Daten spiegeln die jeweiligen Trends am Drogenmarkt wider. Beispielsweise wird gegenwärtig Paramethoxyamphetamin (PMA) als Ecstasy (MDMA) gehandelt. Das Problem: Die zur Herstellung benötigten Stoffe sind legal im Handel erhältlich, was einerseits die Kontrolle erschwert, andererseits die Herstellung von PMA billiger und einfacher macht, als die von MDMA.

Gebotene Vorsicht

"Check it!" wird zu 70 Prozent aus Mitteln der Sucht- und Drogenkoordination Wien und zu 30 Prozent vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen finanziert. Die Mitarbeiter bewegen sich haarscharf an der Grenze der Legalität: "Wenn wir zum Beispiel, so wie heute Nacht unsere Proben von einem Boten zur Untersuchung ins AKH bringen lassen, und er von der Polizei aufgehalten wird, braucht er natürlich eine Bestätigung, sonst wird er verhaftet", sagt Reithofer. "Früher, als wir mit dem großen Labor bei nicht angemeldeten Raves waren, hätte das schon ins Auge gehen können", erzählt Schmid. "Wenn die Polizei gekommen wäre, wären alle anderen weg gewesen, ehe wir auch nur zusammengepackt hätten."

Um sich nicht wegen Besitz und Weitergabe strafbar zu machen, dürfen die Mitarbeiter von "Check it!" die Drogen nicht in die Hand nehmen. Was sie zu skurrilen Vorgehensweisen zwingt: Einzeln betreten die Klienten einen abgeschirmten Raum, reiben mit einem Fetzchen Schleifpapier über alle Seiten der Tablette beziehungsweise klopfen, im Fall von Kokain, Heroin oder Amphetamin eine winzige Menge - etwa sechs Milligramm des Pulvers - in ein Proberöhrchen. Diese Probe wird mit einer Nummer versehen und gewogen. Zusätzlich wird die Tablette oder das Pulver fotografiert. Der Konsument macht Angaben zu Geschlecht, Preis und Bezeichnung der Substanz, sowie Menge und Form in der er sie zu konsumieren plant. Rund 30 Minuten später wird das Resultat zur jeweilige Nummer ausgehängt: Weiße Zettel bei zu erwartendem Ergebnis, gelbe, wenn die Probe unerwartete Substanzen enthält und rote bei einem bedenklichen Ergebnis, soll heißen, wenn besonders gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe festgestellt worden sind.

Das ist der Moment in dem die Sozialarbeiter zum Einsatz kommen: "Eigentlich ist es erstaunlich, wie viele der Klienten von sich aus die Finger von einer gelben oder roten Probe lassen", erzählt Reithofer. Trotzdem sei das Gespräch wichtig. Als den Drogenkonsum verharmlosend will er die Substanzanalyse nicht verstanden wissen: "Durch die Analyse wissen wir mehr, als die User wissen und dadurch haben die Informationen, die wir zu bieten haben einen höheren Stellenwert und werden besser angenommen, als während gewöhnlicher Beratungsgespräche. Man kann den Leuten den Konsum nicht ausreden", sagt Reithofer, der zehn Jahre lang in der Wiener Drogenberatungsstelle "ganslwirt" gearbeitet hat, "aber man kann sie möglichst sicher und gesund über diese Phase ihres Lebens bringen." Der Großteil der Freizeitdrogenkonsumenten würden früher oder später aus der Partyzeit und damit auch aus dem Drogenkonsum herauswachsen, sagen sowohl Reithofer als auch Schmid.

In jener Nacht werden 28 Proben untersucht. 13 sind gefährlich verunreinigt und werden als besonders gesundheitsschädigend eingestuft, zehn bringen ein unerwartetes Ergebnis. Lediglich fünf beinhalten jene Wirkstoffe, die die User zu kaufen gedacht hatten. (derStandard.at, Birgit Wittstock, 09.12.2008)