Wien - Alt und neu passen mitunter ganz gut zusammen - darauf konnte sich die Expertenrunde, die Dienstagabend im Zigarrenclub der PR-Agentur Pleon-Publico die Frage "Wie viele moderne Akzente verträgt eine Stadt wie Wien?" diskutierte, grundsätzlich einigen. Darüber, wie die perfekte Symbiose zwischen historischer und zeitgenössischer Architektur aussehen könnte, gab es allerdings recht unterschiedliche Ansichten.

Geschützte Zone erschwert Wohnraumschaffung

"Ich würde mir da schon ein bisschen mehr Mut wünschen", sagte etwa Architekt Ernst Hoffmann. "Denn Wien ist im Vergleich zu anderen Städten von einem sehr geschlossenen Stadtbild geprägt." Die einzige Möglichkeit, in der Innenstadt mehr Wohnraum zu schaffen, bestehe nun einmal im Ausbau der Dachgeschoßzone. Der werde allerdings durch den Umstand, dass die gesamte City zur geschützten Weltkulturerbe-Zone gehört, erschwert.

Problematisch: Kaum moderne Akzente

Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SP) kann dem Umstand, dass in der Innenstadt nur eingeschoßige, möglichst unauffällige Dachausbauten erlaubt sind, hingegen einiges abgewinnen. "Ich erinnere nur an den gagerlgrüne Aufbau neben der Kapuzinergruft." Dass aufgrund der strengen Unesco-Bestimmungen im ersten Bezirk kaum moderne Akzente gesetzt werden können, hält allerdings auch Schicker für problematisch: "Dazu möchte ich festhalten, dass der Titel Weltkulturerbe beantragt wurde, bevor ich Stadtrat war."

Fragen der Ästhetik sind überholt

Einerseits, warf Architektin Françoise-Hélène Jourda ein, sei die Frage, wie viel auffällige zeitgenössische Architektur eine europäische Metropole verträgt, relativ neu. "Vor 100 Jahren veränderten sich Städte nach und nach, heute sind aufgrund des technischen Fortschritts wesentlich größere Kontraste möglich." Andererseits müsse man sich aber auch klarmachen, dass Fragen der Ästhetik letztlich überholt seien. "Jetzt geht es vielmehr darum, Städte zu reparieren - ökologisch wie sozial." In ihrer Heimatstadt Paris finde unter Denkmalschützern gerade ein Umdenken statt. "Solarpaneele auf historischen Gebäuden sind jetzt möglich. Weil man erkannt hat, dass im Sinne der Nachhaltigkeit dringend Lösungen gefunden werden müssen."

Vorsicht mit Fortschrittsglauben

Voltaikanlagen auf denkmalgeschützten Dächern will sich der Wiener Landeskonservator Friedrich Dahm lieber nicht vorstellen. "Da steckt auch ein gewisser Fortschrittsglaube dahinter, mit dem man vorsichtig umgehen muss" - zumal vor einigen Jahren Kunststofffenster propagiert worden seien, deren Entsorgung sich inzwischen als höchst problematisch herausgestellt habe.

Mehr Mut

"Andererseits sind nicht alle alten Häuser architektonische Meisterleistungen", sagte Immobilienentwickler Martin Lenikus, "die sind in Wien aber meist trotzdem denkmalgeschützt." Nicht nachvollziehbar sei außerdem, "warum man sogar rund um die Weltkulturerbezone kaum mutige Dachausbauten zulässt."(Martina Stemmer, DER STANDARD Printausgabe 4.12.2008)