Mit psychoanalytischem Feingefühl wagt Martin Engelberg den Blick unter die Oberfläche von Unternehmen.

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Über den Mehrwert von Coaching und die Bedeutung der Analyse unbewusster Prozesse in Organisationen sprach Martin Engelberg, Vienna Consulting Group, mit Gudrun Ostermann.

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STANDARD: Welchen Mehrwert bringt Coaching, den ein Gespräch unter Freunden nicht leisten kann?

Engelberg: Coaching genießt mittlerweile einen gewissen Trendfaktor. Eine weitverbreitete Meinung ist nach wie vor, dass es dem Gespräch mit Freunden oder Kollegen vergleichbar sei, nur dass es eben etwas kostet. Um für den Coachee einen erkennbaren Mehrwert zu leisten und eine wirksame Veränderung zu initialisieren, muss professionelles Coaching immer zwei Perspektiven einnehmen: den Blick auf die äußeren Verhältnisse der Organisation und den Blick auf das innere Geschehen des Coachee.

Coaching muss das komplexe Wechselspiel zwischen Individuum und Person beleuchten, muss also einerseits beitragen zu einer Klärung und Sichtung einer verwirrenden, überfordernden, emotional belastenden organisationalen Situation und andererseits aber auch Raum geben, um sich mit den inneren Gründen der Überforderung beschäftigen zu können. Die Persönlichkeit und die Charakterstruktur des Coachee, seine Beziehungs- und Verhaltensmuster müssen ihren Platz bekommen können.

STANDARD: Was ist bei diesem Zusammenspiel von Persönlichkeit und organisatorischem Verhältnis entscheidend?

Engelberger: Um dies leisten zu können, muss Coaching tiefer gehen und den Blick unter die Oberfläche der Organisation und der Person eröffnen, um die Dynamik zwischen Führung und Gefolgschaft, zwischen Team und Organisation usw. adäquat verstehen zu können. Dass dies bei einem Coaching-Setting von normalerweise zehn bis fünfzehn Einheiten nur eingeschränkt möglich ist, liegt auf der Hand.

Nichtsdestotrotz liegt hierin der wirkliche Nutzen von Coaching. Indem es zu einem tieferen Verständnis der eigenen Person und der Organisation sowie zum Wechselspiel zwischen beiden beiträgt, kann es mehr sein als ein Gespräch mit Freunden und Kollegen und kann dem Anspruch gerecht werden, nachhaltige Veränderungen zu bewirken.

STANDARD: "Under the surface" - also der Blick unter die Oberfläche - ist das Beratungskonzept der Vienna Consulting Group (VCG). Wie wollen Sie unter die Oberfläche schauen?

Engelberg: Unsere Arbeit fängt dort an, wo andere Beratungskonzepte an Grenzen stoßen. Wir beschäftigen uns auch mit den unbewussten Prozessen bei Führungskräften und Organisationen, die Personen und Teams in Verwicklungen bringen, die ihnen rational nicht zugänglich sind. Die Berater verfügen über sehr unterschiedliche Kompetenzen: Vom Herkunftsberuf her Betriebswirte, Personalentwickler, Sozialwissenschafter und Unternehmer, verbinden sie ihre langjährige Erfahrung in der Unternehmensberatung mit ihrer psychoanalytischen Kompetenz.

Und gerade jetzt, wo so manche Lebenswelt zusammenbricht, wo in Verbindung mit der Wirtschaftskrise so manche Lebenskrise ausbricht, ist psychoanalytische Kompetenz besonders gefragt. (DER STANDARD; Printausgabe, 6./7./8.12.2008)