Warum und wie die Pfuhlschnepfe nonstop fliegt, haben nun Forscher analysiert.

Der Herbst kommt früh nach Alaskas Westen, der erste Sturm peitscht oft schon Ende August über die Beringstraße. An den Mündungen der Flüsse Yukon und Kuskokwim versammeln sich zu dieser Zeit zigtausende langbeiniger Vögel mit rostrotem Gefieder und leicht aufwärtsgebogenen Schnäbeln. Sie schreiten über die ausgedehnten Wattflächen und erbeuten allerlei Würmer und Kleinkrebse. Zoologen nennen die grazilen Geschöpfe Limosa lapponica baueri - zu Deutsch Nordostpazifische Pfuhlschnepfe. Die Tiere haben den Sommer in arktischen Gefilden verbracht, zum Brüten und Brutaufziehen. Jetzt nutzen sie das reiche Nahrungsangebot der Küstengewässer, um so richtig Speck anzusetzen. Einige Wochen währt das große Fressen, bis die Schnepfen plötzlich, wie von einer unsichtbaren Hand dirigiert, aufsteigen. Bis zu 400 Vögel pro Gruppe heben ab und verschwinden dann in Richtung Horizont. Kurs Süd-Südwest, den sonnigen Stränden Neuseelands entgegen.

Robert Gill hat dieses Schauspiel schon oft beobachtet. Der am USGS Alaska Science Center tätige Biologe studiert das Wanderverhalten von Zugvögeln und widmet, zusammen mit einem internationalen Forscherteam, den Routen von L. lapponica baueri besondere Aufmerksamkeit. Der Grund: "Uns fiel auf, dass die Vögel übermäßig fett sind, wenn sie Alaska verlassen. Warum?" Wenn sie, wie bisher angenommen, mit Zwischenstopps an der ostasiatischen Küste entlangfliegen würden, wäre eine solch extreme Selbstmast unnötig, so Gill. Andererseits kennen die Wissenschafter Berichte von Pfuhlschnepfen, die in der Nähe des Hawaii-Archipels gesichtet wurden. Auf den Inseln selbst treffen sie allerdings nur sehr selten ein. Den Forschern kam ein Verdacht: Wäre es möglich, dass die Tiere die enorme Strecke quer über den Pazifik nonstop zurücklegen?

Um der Sache auf den Grund zu gehen, fingen Robert Gill und seine Kollegen mehrere Pfuhlschnepfen ein und statteten sie mit Peilsendern aus. Sobald sich die Fernflieger auf den Weg in den Süden machten, meldete die neue "Bordelektronik" regelmäßig ihre Position an einen Satelliten. Das Ergebnis der Hightech-Aktion erregte weltweit aufsehen. L. lapponica baueri schafft es wohl tatsächlich, die schier endlosen Weiten des Pazifiks in einem einzigen Zug zu überwinden. Ein Pfuhlschnepfen-Weibchen flog ohne nachweisbare Unterbrechung acht Tage lang und 11.680 Kilometer weit, bevor es wohlbehalten an der Mündung des Piako-Flusses auf Neuseelands Nordinsel landete. Die Details der Studie wurden neulich von der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B online publiziert (doi: 10.1098/rspb.2008.1142).

Die Leistungen der knapp 40 Zentimeter langen Vögel werfen für die Forschung einige schwierige Fragen auf. Wie decken sie ihren Energie- und Wasserbedarf, wie bewältigen sie Schlafmangel? Die Stoffwechselrate fliegender Pfuhlschnepfen ist acht- bis zehnmal höher als im Ruhezustand. Offensichtlich verfügen die gefiederten Extremsportler über physiologische Anpassungen. Eine davon wurde bereits nachgewiesen. Pfuhlschnepfen speichern Energie nicht nur als Fett, sondern auch in Form von Proteinen. Ihre Brustmuskulatur vergrößert sich vor Abflug, der Verdauungsapparat schrumpft dagegen.

In Bezug auf den möglichen Sinn der Marathonflüge haben Robert Gill und sein Team eine überraschende These aufgestellt: Die Leere des Pazifiks, so glauben die Experten, stellt für die Pfuhlschnepfen keine Barriere dar, sondern dient ihnen als "ökologischer Korridor". Im Gegensatz zu den Küstengebieten lauern hier keine Räuber, und der pausenlose Flug verhindert auch den möglichen Kontakt mit Krankheitskeimen und Parasiten. Des Weiteren herrschen im Herbst in Alaska oft südlich gerichtete Winde, die den Tieren das Fliegen erheblich erleichtern dürften. Im südlichen Stillen Ozean liegen zudem zahllose Inseln - perfekte Notlandeplätze für erschöpfte Schnepfen mit Treibstoffmangel.

Für Kurt Kotrschal, Zoologe an der Uni Wien, ist die Korridor-These plausibel. Pfuhlschnepfen seien hochspezialisierte Flieger mit einem effizienten Stoffwechsel. Sie könnten die Sicherheit des offenen Raums tatsächlich gezielt nutzen. (Kurt de Swaaf /DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2008)