Auf den Spuren des freien Spiels: Paul Urbanek.

 

Foto: STANDARD /Corn

Wien - "Ich bin ein 'Spiegelmensch', das heißt: stärker in der Reaktion auf Partner als allein. Es gibt Leute, die schreiben eine Symphonie, und solche, die stark im Austausch und in der Reflexion sind - so ein Typ bin ich halt." Wer sich viel Input holt, der ist eines Tages in der Lage, auch ohne direktes Gegenüber Ideen zu ventilieren, Impulse zu geben.

Insofern muss Paul Urbaneks Selbsteinschätzung relativiert werden, hat der 44-jährige Wiener in den letzten Jahren doch eine bemerkenswerte Wandlung erfahren: Der kompetente Sideman, zuarbeitender Tastenmeister in den Bands von Harri Stojka bis Alegre Corrêa, avancierte zu einem der spannendsten Pianisten der Szene.

Einer der Auslöser: frei improvisierte Aufnahmen Hans Kollers, des Wiener Jazzübervaters, der in den 50er-Jahren zu einem der bedeutendsten europäischen Jazzer aufstieg. "Ich wollte ergründen, was der Durchschnittsmensch Free Jazz nennt: Was ist das? Und Ich war dann fasziniert, dass Kollers freie Musik motivisch glasklar konstruiert ist, beinahe im klassischen Sinn", so Urbanek. Es blieb nicht bei der Analyse: In diffiziler Kleinarbeit versah er die Aufnahmen nachträglich mit einem Klavierpart, verpasste den Saxofon-Linien Kollers und seines Duopartners Wolfgang Puschnig eine eigene dramaturgische und harmonische Lesart.

2001 wurde Urbaneks The Hans Koller Project als "CD des Jahres" ausgezeichnet - seine Energien wirkten auch auf den damals bereits 80-Jährigen Nestor zurück: Koller entschloss sich nach Jahren der Bühnenabsenz, noch einmal seine Instrumente zu reaktivieren. Seither führt Urbanek im Ensemble "Stream 5" Kollers Kunst der kollektiven Improvisation weiter, in typischer Besetzung mit fünf Saxofonen und Klavier. Und ist dabei auf dem bestem Weg, die Anregungen eigenständig weiterzudenken, wie er im Porgy & Bess anlässlich der Präsentation der CD Live im Wiener Konzerthaus demonstrierte:

Österreichs luxuriöseste Saxofon-Section - Wolfgang Puschnig, Florian Bramböck, Christian Maurer, Klaus Dickbauer und Gerald Preinfalk - bedeutete hochkarätige Tutti- und Solo-Momente, Perkussionist Patrice Heral in elektronisch prozessierten Vokal-Rhythmus-Einlagen einen amüsanten Kontrapunkt.

"Ich frage mich bei Musik nicht, ob das ich bin, sondern ob sie mich interessiert. Daraus ergibt sich dann möglicherweise etwas Eigenes. Es geht letztlich um Musik, nicht um Strategie", äußert sich Urbanek zu der - von Musikerseite aufgeworfenen - Frage, ob seine Koller-Bearbeitungen womöglich "zu wenig Urbanek" seien. Die ideensprühende Trio-CD A Matter of Time, die er kürzlich mit den jungen Kollegen Raphael Preuschl und Lukas König vorgelegt hat, gibt ihm recht.

Hier ist einer längst vom Reagierenden zum Impulsgeber mutiert. Von Pianist Paul Urbanek ist also auch in Hinkunft Spannendes zu erwarten. (Andreas Felber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.12.2008)