Der 38-jährige New Yorker Balladenkaiser Antony.

Foto: Rough Trade

"Natürlich lege ich es nicht explizit darauf an, meine Hörer zu Tränen zu rühren. Ein bisschen stolz macht es mich aber schon, wenn das Publikum seine Reserviertheit aufgibt und in meiner Musik zerfließt. Schließlich will ich ja niemanden nach unten ziehen, sondern eine erlösende Wirkung erzielen. Ich hoffe immer, dass die Leute aus meinen Konzerten Kraft beziehen und mit aufrechtem Haupt nach Hause gehen. Ich finde es sehr interessant, zu sehen, wie meine ja doch emotional erheblich aufgeladenen Songs auf andere Leute wirken - und wie sie sie verändern."

Als Antony Hegarty 2005 mit dem Autor über sein Album I Am A Bird Now sprach, seine nach einem namenlosen Debüt aus dem Jahr 2000 damals zweite Studioarbeit, definierte der in New York lebende Sänger und Pianist damals auch gleich sein bis heute gültiges künstlerisches Programm. I Am A Bird Now brachte ihm schließlich nicht nur den internationalen Durchbruch. Nachdem sich der heute 38-Jährige als Begleitsänger in Lou Reeds Tourband zu dessen Arbeit The Raven verdingt hatte, konnte er auch seine Musik zu einer endgültig festgelegten Form verdichten.

Pianolastige Balladen, mit Streicherensemble und Rhythmusgruppe pathetisch erheblich aufgeladen, schwelgten zwischen Pathos und Kitsch, zwischen den Vorgaben von Nina Simone oder Billie Holiday. Sie wurden durch eine Neusichtung klassischer Gospelmusik hin zur Gebrochenheit seines Förderers Lou Reed in die Moderne getragen, ohne sich deshalb an eine etwaige Zeitgenossenschaft anzubiedern.

Für die Schönheit leiden

Antony damals weiter: "Ich brauche extrem lange beim Komponieren. Alles unnötige Beiwerk in den Songs versuche ich auf das Wesentliche, auf ein möglichst reines Gefühl einzudampfen. Ich schreibe nicht für den Tag. Ich will, dass meine Musik Bestand hat. Das sind schmerzhafte Prozesse, und man hört das den Liedern sehr wahrscheinlich auch an." Ob man für Schönheit also leiden müsse, wurde er damals gefragt. Antony: "Ich würde sagen, ja."

Es folgten endlose Touren, die harte Mühle des Showbusiness. Vor allem aber folgten seitdem zahllose Kollaborationen mit anderen Musikern und Sängern. Immerhin wurde Antony bald als speziell von Kollegen verehrtes Zauberwesen zwischen Mann und Frau, zwischen gepresstem Falsettgesang und kräftiger Wucht des Gospel gern bemüht. Neben Beiträgen zu Tributprogrammen für Leonard Cohen (I'm Your Man) oder Bob Dylan (I'm Not There) arbeitete Antony unter anderem mit Björk, seiner ehemaligen Begleiterin Joan As Police Woman, mit Rufus Wainwright, Current 93 oder Matmos. Zuletzt sang er mit Marianne Faithfull auf ihrem aktuellen Album Easy Come Easy Go. Und er wurde als fixer Gast der New Yorker Disco-Neuerfinder Hercules & Love Affair heuer obendrein mit dem Hit Blind zur Dancefloor-Diva.

Bevor nun im Jänner ein neues Studioalbum von Antony And The Johnsons namens The Crying Light erscheint, liegt derzeit ein Vorbote vor, die fünf Songs von Another World. Auf beiden Covers ist jener Mann abgebildet, dem auch die neuen Songs gewidmet sind. Es geht um die japanische, mittlerweile 102-jährige Butoh-Tanzlegende Kazuo Ohno. In dieser sieht Antony eine Wahlverwandtschaft, weil er mit seinem berührenden Ausdruckstanz "das Kind und das Göttlich Feminine" in seiner Kunst verkörpere.

Mit Ausnahme des eine Noise-Gitarre und ein schrilles Saxofon beinhaltenden Shake That Devil, einem stampfenden Privatexorzismus auf forcierter Gospel-Rhythmus- und Call-and-Response-Gesangsbasis, hat sich Antony im Vergleich zu I Am A Bird Now noch einmal zurückgenommen. Hier wird in molllastigen Pianoballaden im Stile von Nick Caves The Boatman's Call geschwelgt, die Instrumentalbegleitung auf ein absolutes Minimum reduziert - und seine nun mitunter schon gar manieriert auf mehreren Gesangsspuren um sich selbst kreisende Stimme in den Vordergrund gerückt.

Thematisch folgen die neuen Lieder alten Themen. Epilepsy Is Dancing, Another World, Her Eyes Are Underneath The Ground: Schmerz, Schuld, Sühne, Liebe und Verlust und eine das Herz zerreißende Sehnsucht nach etwas Besserem als dem Tod, sie werden tief in den Schmalztopf gesenkt. Manchmal allerdings, etwa in Aeon, macht sich auch eine kathartische Lebensfreude breit, die man hier nicht vermutet. Das spendet Trost. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.12.2008)