Die stillende Gottesmutter "Maria lactans" von Bartolomeo Vivarini (um 1450) aus der Sammlung der Galerie G. Sarti.

Foto: Liechtenstein Museum

Wien - Nicht einmal einen Windhauch möchte man den kostbaren Täfelchen zumuten, so kostbar und zerbrechlich erscheinen viele der aktuell im Liechtenstein Museum präsentierten Schätze Auf goldenem Grund. Noch im vergangenen Jahrhundert allerdings ging man mit diesen Goldgrundarbeiten aus dem italienischen Tre- und Quattrocento manchmal wenig zimperlich um.

Die Nachfrage nach den güldenen Heiligenbildern war im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart groß - auch Johann II. von Liechtenstein (1840-1929) begehrte die italienische Ware -, dass damit allerlei Schindluder getrieben wurde: Es wurde gefälscht, Originale wurden - zur Maximierung des Profits - brutal auseinandergeschnitten.

Die halbfigurigen Evangelisten- und Heiligen-Tondi (1363) von Giusto de' Menabuoi beweisen dies. Denn jene Beispiele, die heute als "Kunstwerk" im neuzeitlichen Sinn in den Museen hängen, sind isoliert, herausgerissen aus den ursprünglichen Kontexten und Gefügen, oft aus zwei-, drei oder vielteiligen Flügelaltären entnommen. Ihre Einzelteile sind heute über die ganze Welt verstreut; zersprengt und verloren sind oft auch Funktions- und Bedeutungszusammenhänge. Manche der raumgreifenden Altarbilder mussten einfach Neuem Platz machen, wurden als Möbelteile recycelt oder verbrannt, um Gold zurückzugewinnen.

Echte Krimis heften sich also an Arbeiten wie den Hl. Augustinus von Sassetta, einem der beiden führenden Sieneser Maler des 15. Jahrhunderts. Zwar war die Tafel, deren Goldpunzierungen im Licht glitzern wie Swarovski-Steinchen, bereits seit langem dem berühmten Polyptychon (48 Tafeln!) für San Francesco in Borgo San Sepolcro (1437-1444) zugeordnet, seine Platzierung im Gesamtzusammenhang wirbelte aber ein vor zehn Jahren entdecktes Dokument völlig durcheinander.

Eine funkelnde Schau - freilich auch wegen des Goldes und der darauf angewendeten kunstvollen Techniken: Ob nun Punzierung, Sgraffito- oder Pastiglia-Technik (alle anschaulichst erklärt), das Auge streicht begierig über die Pünktchen-Ornamente und zarten Linien. Die aufwändig bearbeiteten Goldgrundbilder stammen nur zum Teil aus der Sammlung von Johann "dem Guten". Der größere Teil kommt aus der Sammlung der Pariser Kunsthandlung G. Sarti, die sich in den letzten zwanzig Jahren auf dem Gebiet der frühen italienischen Malerei einen Namen gemacht hat.

Spuren von Scharnieren

Wie abenteuerlich und spannend das Feld jener Werke ist, illustriert Kuratorin und Vizedirektorin Alexandra Hanzl auch an einer weiteren Arbeit: Als zwei kaum sechzehn Zentimeter hohe Andachtsbilder von Allegretto di Nuzi (Mitte 14. Jh.) von einer Ausstellung in Luzern ins Haus zurückkehrten, gab man sie zur Restaurierung. Nach Abnahme einer Firnisschicht wurden Spuren im Holz sichtbar, die auf Scharniere schließen ließen: Die Flucht nach Ägypten und Die Anbetung der Könige waren also ursprünglich auch einmal Teile eines größeren Verbands. Scharnierspuren, die im Fall von Bernardo Daddis Darbringung Christi im Tempel eine von vermutlich zwei weiteren Tafeln finden ließen - im Museum of Fine Arts in Boston.

Erste Keime der Renaissance

Das Liechtenstein Museum gibt aber nicht nur einen interessanten Überblick über die hierzulande wenig repräsentierte frühe italienische Malerei von Oberitalien bis nach Neapel, sondern zeigt deren Entwicklung bis zur aufkeimenden Renaissance: Die Andachtsmotive - besonders hervorzuheben die herrlichen Reise-Altärchen von Nicolo di Tommaso - werden allmählich zu eigenständigen und monumentaleren Bildtafeln; religiöse Motive finden zunehmend auch als Andachtsbilder im privaten Bereich Verwendung. Der Goldgrund weicht der Landschaft, die Zentralperspektive wird entdeckt.

Und auch in diesem Abschnitt der übersichtlichen und mit Hintergründen wie Vergleichsbeispielen gut aufbereiteten Ausstellung wird die Schaulust großgeschrieben. Sie stellt den neuen Typus der Madonna im Grünen oder das zweite wichtige Andachtsthema, Christus den Schmerzensmann, vor. Jacopo del Sellaio, stark an Botticelli orientiert, platziert Maria und Kind inmitten einer paradiesischen, liliengesäumten Wiese.

Auch religiöse Themen entbehren nicht der - unfreiweilligen - Komik: Auf dem Madonnen-Altärchen eines umbrischen Meisters entpuppt sich der wilde Eber des Heiligen Antonius eher als fetter Zeck, und der durchbohrte Hl. Sebastian räkelt sich lächelnd und geradezu lustvoll an seinem Säulchen. Praktisch und anregend zugleich ein weltliches Beispiel: Holztafeln sollten die Raumtemperaturen im Schlafgemach stabilisieren, ihre Themen - von Jagd- bis Liebesszenen - wohl zusätzlich erwärmen, aber auch, wie im Falle der vergewaltigten Lucretia, erzieherisch wirken. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.12.2008)