Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war vergangene Woche. Da fragte ich S. ein wenig erstaunt, wieso sie denn auf der Suche nach einem möglichst effizienten Selbstverteidigungskurs sei. Schließlich habe sie doch einen Hund. Der ist zwar weder scharf noch bösartig noch aggressiv - aber groß. Und das, meinte ich, genügt: Menschen mit großen Hunden werden in der Regel nicht angegriffen. Zumindest nicht in unseren Breiten.

S. gab mir Recht. Das mit der Hundegröße und dem Respekt vor dem unbekannten Vieh stimme ja, sagte sie. Genauso wie es einen Zusammenhang zwischen der Farbe und der Angst vor dem Wauwau gäbe: Während kaum jemand Hemmungen habe, hüfthohe helle Hunde ohne den Besitzer zu fragen, zu streicheln, sei das bei kniehohen Dunklen ganz anders. S. Hund ist dunkel. Da fürchten sich hundelose Menschen ebenso rasch wie grundlos.

Ein Schaf

Trotzdem, sagte S. müsse sie jetzt einen Selbstverteidigungskurs besuchen. Nicht trotz, sondern wegen des Hundes: Ihr Hund sei nämlich im Umgang mit Menschen ein Schaf. Friedfertig und devot. Aber im Umgang mit anderen Hunden sei er eben ein Hund. Und das, meinte S., wäre eigentlich kein Problem wenn sich die Menschen da nicht einmischen würden.

Ich seufzte. Schließlich kenne ich das Problem gut: Das Pendant zur irrationalen (und oft genug fatalen) Angstzuteilung der Nichthundehalter nach Größe und Farbe des Kelefs ist nämlich das Bedürfnis von Hundehaltern, sich in interne Hundeangelegenheiten einzumischen. Je kleiner der Hund, lautet der Stehsatz, desto unerzogener oder ahnungsloser ist meist der Besitzer. Auch, weil man einen Kleinköter im Notfall einfach an der Leine hinter sich herschleifen kann bei 30 Kilo Bello fällt das dann aber zumindest schwer: Da weiß man besser, wie der Hund funktioniert.

Fiepsen und Knurren

Darum wissen Kleinhundhalter oft auch nicht, dass sich normal sozialisierte Hunde beim Rangordnungausmachen nur in den allerseltensten Fällen gegenseitig verletzen: Der größere oder der mutigere Hund steht irgendwann nach einer Runde Bellen, Knurren, Rangeln und Aufplustern über dem kleineren, feigeren oder schwächeren Rivalen und knurrt und der andere liegt am Rücken. Manchmal fiepst der Schwächere Herz zerreißend. Das schaut Furcht erregend und nach Massaker aus, klingt oft schlimm ist aber fast immer unblutig und harmlos. Und nach einem Mal meistens ausdiskutiert. Außer, die Halter mischen sich ein.

Kleinhundehalter tendieren nämlich dazu, ihre Hunde retten zu wollen. Erstens aus Ahnungslosigkeit. Das sind dann jene Omis oder Paris-Hilton-Wannabes, die ihren Zwei-Kilo-Putzlappen panisch auf den Arm nehmen, sobald ein anderer Hund auftaucht. Fazit: Der kleine Hund lernt nie, wo seine Stellung ist, blickt immer von oben herab und fühlt sich deshalb mächtig. Und der große Hund versteht nicht, wieso der Zwerg so groß tut - und wird sauer. Spätestens beim vierten Treffen der beiden Köter hat die Oma jeden Grund, ihren Schoßhund in Sicherheit zu bringen.

Verletzte Männlichkeit

S. war aber an einen Vertreter der anderen Spezies Kleinhundehalter geraten: Einen, der es nicht verkraftet, wenn sein Hund einen anderen Rang in der Hundehierarchie innehat, als er selbst unter Menschen. Oder als er zu haben glaubt: Alpha-Halter wollen Alpha-Tiere. Wenn ihr (kleiner) Rassehund sich dann vor der (großen) zottigen Mischung aus tausendundeinem Hinterhof (die noch dazu einer Frau gehört) in den Gatsch wirft, tut das dort weh, wo die Männlichkeit sitzt. Und dafür muss dann jemand bezahlen.

In S. Fall, erzählte S., war das ihr Hund. Der fremde Köter ein kleiner, lustiger Terrier - und ihrer Mischling hatten in der Hundzone nördlich der Stadt nicht einmal gezofft: Die beiden Rüden sahen einander, plusterten sich auf, kläfften mit hochgezogenen Lefzen und zehn Sekunden später lag der Terrier fiepsend am Rücken.

Erledigt?

S. rief ihren Hund zurück und dachte, die Sache wäre erledigt. Aber da, erzählte sie, sei der Besitzer des Terriers ausgerastet: Er sei auf ihren Hund zugerannt und habe das Tier getreten. Der Hund der in seinem ganzen Leben noch nie geschlagen worden war, war mindestens so verblüfft wie S. Er lief nicht weg sondern unterwarf sich: Er legte sich auf den Rücken.

In der Hundewelt wäre die Sache damit beendet gewesen. Aber der Mensch funktioniert anders: Der Mann prügelte mit den Fäusten auf den Hund ein und trat immer wieder zu. Und dann, erzählte S., habe er in die Tasche gegriffen und ein Klappmesser herausgezogen. Damit sei er auf den am Boden liegenden Hund losgegangen.

Aussetzer

In diesem Moment, sagt S., habe sie dann vergessen zu denken: Sie habe sich über ihren Hund geworfen und erst, als sie so dalag, sei ihr der Gedanke gekommen, dass der Irre mit dem Messer ja eventuell auch auf sie losgehen könnte. Aber das, erzählte S., dürfte dem Verrückten dann doch zu heftig gewesen sein: Er habe sie einmal getreten und sei dann (mit seinem Hund im Gefolge) rascher verschwunden, als sie sich aufrappeln können habe.

Ihr Hund, erzählt S., habe das Erlebnis relativ rasch weggesteckt. Sie aber nicht. Und sie sei verunsichert. Schließlich könne so etwas ja wieder passieren. Daher stehe jetzt vor der Entscheidung, ihren Hund zum auf Kommando scharfen Schutzhund erziehen zu lassen - oder aber selbst zur minder, aber eben doch gefährlichen - Waffe zu werden. Deshalb, so S., werde sie jetzt einen Kurs machen. In einer möglichst effizienten Technik (Also etwas, wo es nicht um Geist und Wettkampf und Regeln geht.).

Die Hundezone im Norden der Stadt werde und könne sie aber trotzdem nicht mehr besuchen. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 23. Dezember 2008)