"Als Figur hat er mir zu wenig Pegelschläge": Armin Mueller-Stahl über Jean Buddenbrook, den er in Heinrich Breloers schwelgerischer Thomas-Mann-Adaption verkörpert.

Foto: Warner

Edle Chronik eines Verfalls: Tony (Jessica Schwartz) flaniert im Kostüm durch die Familien-Saga "Buddenbrooks".

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STANDARD: Herr Mueller-Stahl, der Konsul Jean Buddenbrook wird von Thomas Mann als ein Mann "mit einer fast religiösen Achtung vor Thatsachen" beschrieben. Er ist nüchtern und fromm.

Mueller-Stahl: Es steckt viel von Thomas Mann in dieser Figur. Anders als Thomas Mann, den ja - im Gegensatz zu seinem Bruder Heinrich - tatsächlich der Erfolg aufrechterhielt, ist der Jean aber am Ende zusammengebrochen. Deswegen ist die Geschichte auch zeitlos. Ein Mann hat sein Selbstbewusstsein an die Karriere gebunden. In dem Moment, in dem die Karriere vorbei ist, rutscht auch das Selbstbewusstsein. Das macht diese Figur so modern.

STANDARD: Für Jean Buddenbrook ist die Firma seine Religion - er vertritt tatsächlich die protestantische Ethik im Geist des Kapitalismus.

Mueller-Stahl: Das sind zwei Dinge, die Sie ansprechen. Im Darstellen einer solchen Figur ist der Konsul mir ehrlich gesagt fast ein wenig zu einseitig gewesen. Er hat wenig Pegelschläge. Was eine Figur interessant macht, sind die Konflikte mit der Außenwelt, weniger mit der Innenwelt, weil die ja unsichtbar sind. Die Religion - was gibt sie den Leuten an Kraft, was ist das für ein Geländer! Es wird mit der Religion so viel Schindluder getrieben. Aber wenn ich Lübeck betrachte mit den sieben Kirchtürmen, sehe ich alles - eine Gewissheit, die uns heute nicht mehr möglich ist.

STANDARD: Stattdessen kommt mit Hanno Buddenbrook und seiner Mutter, Gerda, die Kunst ins Spiel.

Mueller-Stahl: Und damit auch wir mit unserer Gegenwart. Immer wenn ich eine Szene zu Ende gedreht habe, nehme ich die Seite des Drehbuchs und bemale sie. Das ist eine einsame Arbeit, die ich sehr viel lieber habe als das Spielen. Wir waren bei den Buddenbrooks sehr unter Zeitdruck. Da suche ich in der privaten Beschäftigung die Antworten, die ich bei einem kreativen Vorgang bekomme. Die Farben machen etwas mit einem, da kriege ich manchmal in der Kunst oder im Kreativsein die Antworten, die ich in der Religion nicht kriege. Das ist vielleicht wirklich eine Brücke ins Jenseits.

STANDARD: Ist das Schauspiel auch eine Kunst?

Mueller-Stahl: Eigentlich nicht, wenn ich ehrlich bin. Oder es ist eine Kunst des Weglassens. Ich neige generell dazu, ein Geheimnis zu wahren. Ich bin kein expressiver Schauspieler. Wenn ich einen Besoffenen spiele, dann versuche ich, ihn "nüchtern" zu zeigen.

STANDARD: Sie wurden 1930 im ostpreußischen Tilsit geboren. Haben Sie denn als Kind eine ähnliche Atmosphäre der anfänglichen Aufgehobenheit wie die bei den Buddenbrooks noch erlebt?

Mueller-Stahl: Was die Kunst anlangt, ja. Meine Großmutter malte, ich guckte ihr zu, dann habe ich mich gelangweilt und sie zurückgemalt. Mein Vater wollte unbedingt Schauspieler werden, aber da kam natürlich der Krieg dazwischen. Ich war immer umgeben von Kunst und Musik. Es ist nicht irgendwann zu mir gekommen.

STANDARD: Wie haben Sie selbst den Krieg erlebt?

Mueller-Stahl: Zunächst war der Krieg für mich ein Spiel. Ich weiß, dass ich aus dem Schreibtisch meines Vaters Schnaps klaute und das gegen Waffen tauschte, mit denen ich dann Karl May spielte. Mit 13 Jahren wurden wir an der Panzerfaust ausgebildet, wir sollten bei Pasewag sowjetische Panzer vernichten, zum Glück kam es nicht zu einem Einsatz. Die Furchtbarkeit des Krieges wurde mir erst bewusst, als eine Bombe neben unserem Haus einschlug. Mein Vater kam im Krieg um. Meine Mutter war eine ganz starke Frau, sie sprach fließend Russisch, man konnte sich in ihrer Gegenwart nach dem Krieg ungeheuer sicher fühlen. "Stalin hat gesagt", war ihre Formulierung, wie eine Geheimwaffe, als ob sie irgendeinen Kontakt zu ihm hätte. Der erste glückliche Moment kam später in Prenzlau, in einer Stadt, die zu 90 Prozent zerstört war. Ich stand da, und hörte nichts, keinen Panzer, keine Bomben, kein Flugzeug. Diese Stille, das war der Frieden. In den Trümmern Berlins hörte ich dann zum ersten Mal die Geräusche des Friedens. Keilberth da, Celibidache da.

STANDARD: Dann kam die DDR. Heute ist, nicht zuletzt durch Uwe Tellkamps Roman "Der Turm", viel von einem bürgerlichen Leben in dem Arbeiter- und Bauernstaat die Rede. Haben Sie das selbst vielleicht auch erlebt?

Mueller-Stahl: Es gab das. Die Klassen waren aufgelöst, aber wir haben künstlerisch gearbeitet, wir haben uns bemüht, Stoffe durchzusetzen, Filme durchzusetzen. Ich hatte mir eine Möglichkeit ausgesucht, meinen Frust loszuwerden, indem ich kleine Gedichte schrieb und vortrug, das war sehr populär. Ich habe immer in befreundeten Künstlerkreisen gelebt. Ich sehe drei Strömungen damals: die Leute, die für die Partei waren, denen ging's gut, dann die Mitläufer, denen ging's auch gut, und schließlich die, die gegen die Partei waren. Denen ging's miserabel.

STANDARD: Sie haben, bevor Sie die DDR hinter sich ließen, wichtige Filme mit Frank Beyer gedreht. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Mueller-Stahl: Frank war unter allen meinen Freunden die integerste Figur. Wenn man etwas leise sagte, antwortete er laut. Er mochte keine Geheimnisse. Es gibt keinen anderen Regisseur, der sich so viele Beulen holte. Er war ein Fels. Ich weiß noch, wie wir den ersten Teil von Königskinder machten, das war 1961, als die Mauer gebaut wurde. Ich fuhr während der Dreharbeiten mehrmals in den Westen, bekam dort auch Angebote, zu bleiben. Ich wollte ihn aber nicht im Stich lassen. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Printausgabe, 24.-26. 12. 2008)