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Etwas Theater muss schon sein, auch das TV soll vom Neujahrskonzert etwas haben: Dirigent Daniel Barenboim hatte seinen Spaß, vergaß aber nicht, einen Hauch nachdenklicher Poesie zu erwecken.

 

 

Foto: AP /Lilli Strauss

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Kommt nächstes Jahr wieder zum Zug: Georges Prêtre leitet das Neujahrskonzert 2010.

 

 

Foto: REUTERS/Herbert Neubauer

Wien - So lästig Jubiläen grundsätzlich wirken können - zumindest am 1. Jänner machen sie Sinn. Immerhin kommt das Neujahrskonzert, das gerne nahende Todes- und Geburtstage thematisiert, so zu einer gewissen Auflockerung seines stilistisch überschaubaren Repertoires. Das heurige Gastwerk, der 4. Satz aus der Abschiedssymphonie von Joseph Haydn (200. Todestag), ist natürlich ein besonderes Geschenk für den ersten Vormittag des neuen Jahres. Das zierlich-erhabene Stück Wiener Klassik absorbiert und fordert so viel theatrales Talent von den Beteiligten, bietet so viele Scherzmöglichkeit, dass der Neujahrskonzertdebütant Daniel Barenboim und seine Orchesterfreunde den Rest des Vormittags weitgehend Scherzaskese betrieben.

Nicht ganz natürlich. Es soll der nicht sonderlich zwingende Gast-Auftritt der drei Ballettkinderpärchen im Musikverein zum Schluss des Donauwalzers hin nicht unerwähnt bleiben. Und selbstredend muss das finale Mitklatsch-Marschstückchen bezüglich einer vollständigen Scherzstatistik Erwähnung finden, denn Barenboim erwies sich bei der Zuteilung von Lob (fürs nicht Klatschen) und Tadel (fürs zu viel Klatschen) wie Ermunterung (zum Klatschen) als Virtuose des mimischen Slapstick.

Auch sein Umgang mit dem Phänomen der sich während der Musik verabschiedenden Philharmoniker (bei Haydn) und sein Kampf um die verbliebenen, von ihm gestreichelten Streicher ist ein echtes Argument für die DVD-Veröffentlichung dieses Konzertes. Barenboim ist sich indes jederzeit bewusst, dass es auch optische TV-Bedürfnisse zu bedienen gilt. Er behandelt die Musik denn auch wie eine anspruchsvolle, launische Person, die es zu umgarnen gilt, die man aber auch mit heftiger Geste animieren muss, sich von schönsten Seiten zu zeigen. Auf den wenigen Quadratmetern, die ihm zur Verfügung stehen, weicht der Maestro gerne zurück, um leises Innehalten zu bewirken, bückt sich, als gelte es ein Hündchen zu streicheln, oder er weitet die Arme, als wollte er die Musik gleich umfliegen. Auch Tänzeln ist drin.

Geben und Nehmen

Es wäre allerdings unfair, in solch emphatischer Ganzkörperrhetorik nur selbstzweckhafte Pantomime zu erblicken. Hier will einer als inspirierender philharmonischer Partner Wirkung erzielen. In einem Spiel von Geben und Nehmen. Schon an der Intensität, die er in die eröffnende Strauß-Ouvertüre Eine Nacht in Venedig einbrachte, war's zu bemerken. Man muss allerdings auch beim Kunstwollen eine gewissen Balance finden. Besonders bei Strauß. Wenn man zu viel will, wird es geziert, ein bisschen zu parfümiert und aufgesetzt. Wenn man zu wenig will, klingen die Philharmoniker jedoch plötzlich etwas fahl, beiläufig und neutral. Beim Walzer Rosen aus dem Süden konnte man dies alles studieren. Nach der Pause allerdings gab es keine Debatte mehr.

Da fand Barenboim zu jener Mischung aus Insistieren und Loslassen, die eine spezielle Leichtigkeit dieser Musik erzeugt, den philharmonischen Sound glühen und zu jener Ambivalenz finden lässt, die sich durch die Verknüpfung von Schönklang und dahinter schimmernder Traurigkeit einstellt. Besonders die Alexandrinen-Polka profitierte davon, auch die sanft lodernde Eljen-a-Magyar-Polka und Josef Hellmesbergers Valse espagnole. Hier zeigt Barenboim, dass "Bleibendes" nicht durch Kraft erreicht wird, sondern durch delikate Ausgestaltung des Zierlichen.

Unübersehbar auch sein Instinkt für sinnvoll-elegante Bindung von lyrischen Phrasen, sein Gefühl für Dramaturgie ganzer Werkgruppen, was dazu führt, dass er den Applaus gerne knapp hält und etwa gleich von der Annen-Polka schnell zur Schnellpost-Polka übergeht. Ansonsten war er der bekannte Kontrastkünstler, der Lebendigkeit als Dialog von Ausdrucksfarben versteht - einer, der sich gegen die Manierismus-Fallen innerhalb mancher Stücke nicht immer wehrt und die Philharmoniker auch einmal ganz undirigiert ließ (Schatz-Walzer). Zweifellos jedoch wird man sich an einige Moment dauerhaft erinnern. Auch an ein Orchester in sehr guter Form.

In einer kurzen Ansprache brachte Barenboim in seinem und der Philharmoniker Namen schließlich die Hoffnung zum Ausdruck, 2010 würde Frieden und Gerechtigkeit in den Nahen Osten bringen. Beim nächsten Neujahrskonzert wird der charmante Exzentriker Georges Prêtre Barenboims Platz einnehmen und hoffentlich andere Wünsche äußern können. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.1.2009)