Antwerpen sollte man als weltoffenen Hafen betrachten. Bestimmt hat der Turm der Liebfrauenkathedrale auch deshalb Bullaugen als Fenster.

Foto: Toerisme Vlaanderen / Blanckaert
Grafik: DER STANDARD

Da gibt es in Europa ein Bahnhofsviertel, das als Durchgangsstation für 40 Prozent aller Rohdiamanten weltweit und den Großteil der geschliffenen gilt, und dann erfährt man das erst drei Tage nach Weihnachten? Shoppingtipps, die vermeintlich zu spät kommen, sind wahrscheinlich gar keine. Das gilt tatsächlich für das Diamantenviertel in Antwerpen. Wer nämlich in der Centraal Station - immerhin ein klares Juwel im Viertel - erst einmal erwartungsvoll, also mit großen, zu befüllenden Taschen aus dem Zug gestiegen ist, wird einigermaßen überrascht sein.

Antwerpens Diamanten-Einzelhändler verschanzen sich in kleinen Läden, die vielmehr an die Tandler einer x-beliebigen Chinatown erinnern als an üppiges Brillantenbuffet bei Tiffany's. Reingehen sollte man dennoch, sei es nur zum Feilschen um Informationen. "Läuft nicht gerade brillant", erzählt ein Händler offen, denn kleine Edelsteine seien im Gegensatz zu Gold eben keine sichere Wertanlage in Krisenzeiten. Man überlege sogar einen Stopp bei weiteren Ankäufen, weil die Lagerbestände nur schwer anzubringen seien. "Aber Sie können einen Rabatt haben, sagen wir 25 Prozent!"

Das Rüstzeug zu Rabattkäufen ohne Reue hat man zu diesem Zeitpunkt freilich auch noch nicht. Erst einmal beim ABC des Diamantenhandels zu beginnen, das ja ohnehin nur aus vier Cs (Carat, Colour, Clarity und Cut) besteht, ist also keine schlechte Idee. Im Diamantenmuseum gleich hinter dem Hauptbahnhof wird einem das schön langsam buchstabiert, und - schon eher in Richtung Verkaufsveranstaltung getrimmt - auch im Diamanten-Showroom wird es heruntergeleiert. Schmuckstücke für Sammler von guten Informationen sind die beiden Häuser jedenfalls, ob das zum Juwelenkauf im Bahnhofsviertel befähigt, sei einmal dahingestellt.

Mit brillanten Informationsquellen handelt auch Reinhard Steiner, Produktmanager der Verkehrsbüro Studien- und Kulturreisen seit zehn Jahren - genauso lang, wie es das Produkt selbst auf dem Markt gibt. An eine Renaissance der klassischen Studienreise glaubt er - gerade auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten -, weil eine kompetente Reiseleitung, die geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge vor Ort benennen kann, wertbeständig bleibt. Und dann gibt es da noch einen zweiten Aspekt: Wenn jede fünfte Studienreise der Österreicher noch immer nach Italien führt, hängt das wohl damit zusammen, dass sich die Reisenden auch für den "Unterricht" in Sachen Lebensqualität interessieren.

Der Festsaal hilft nach

Ein wenig Nachhilfeunterricht im "Dennoch-gut-leben" kann ein Veranstalter von Studienreisen aber ebenso gut in den Städten Flanderns geben, ohne selbst wirklich nachhelfen zu müssen. Recht schnell wird das etwa im ehemaligen Stadsfeestzaal klar, wo niemand an die Krise denkt, der selbst in einem Champagnerglas sitzt. Der Festsaal, in dem die Antwerpener früher einmal eine Sponsion oder eine Trauung gefeiert haben, ist heute eines der glitzerndsten Einkaufszentren Belgiens und über den Boutiquen thront eine gut besuchte Champagnerbar in Form eines überdimensionierten Kelches.

So überaus angenehm an Antwerpen ist der Umstand, dass die Kulturvermittlung hier im Vorbeigehen passieren kann. Es ist kein Beichtgeheimnis, dass die Kirchgänger der Liebfrauenkathedale zumeist touristische sind, weil hier ein echter Rubens eben auch einfach als Altarbild daherkommt und nicht zwangsläufig einen Museumsbesuch erfordert. Und wenn es schon ein Museum sein soll, hält man sich besser an das Plantin-Moretus-Haus, das aus der ersten industriellen Druckerei der Geschichte hervorgegangen ist, denn hier erfährt der Reisende noch mehr vom guten Leben.

Was sich Handwerker noch im 16. Jahrhundert leisten konnten, die die ältesten Druckerpressen der Welt fertigten, kann man hier nachfühlen. Nicht nur beim Betasten der Goldledertapete in diesem luxuriösen Patrizierhaus, sondern bereits bei einem schnellen Rundgang durch die ehemaligen Arbeitsräume, die man zur Zier des Gewerbes gleich mit Originalen sämtlicher flämischer Meister schmückte.

Genussanker im Hafen

Dann wäre da noch die Sache mit dem Hafen. Ein solcher - in diesem Fall der zweitgrößte Europas - zieht längst keine zweifelhaften Gestalten mehr an, sondern eben auch vermehrt "Studierende auf Reisen", die das Genießen wieder lernen wollen. Das 350 Kilometer lange Wegenetz auf diesem Gelände wird man nicht abklappern können, um die Geschichte zu erfassen, die hier vom Mittelalter an die Schelde hinunterfloss. Im Pomphuis (dem alten Pumpenhaus einer Schleuse) zu diesem Behufe zu ankern, ist dagegen eine gute Idee.

Serviert bekommt man in diesem Restaurant nicht nur ausgezeichnete Garnelenkroketten, sondern dazu gleich die ganze Atmosphäre eines weltoffenen Hafens. Offen für die Welt war er freilich immer nur dann, wenn die Schleusenwärter ihre Arbeit an den gigantischen Pumpen auch verrichteten, über denen man hier tafelt. Offen für neue, ungeschliffene Diamanten, die man hereinlassen wollte in die Stadt, aber auch offen für jene, die gehen wollten. Denn die vergilbten Plakte der legendären Reederei Red Star Line erzählen noch von jenen, die das gute Leben in New York suchten. Vollkommen unverständlich ist das aus heutiger Sicht an der Schleuse! (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Printausgabe/27./28.12.2008)