Die Gesundheitsreform übersieht die Anliegen der Patienten, klagt der Medizinökonom Michael Heinisch im Gespräch mit Andrea Heigl. Er empfiehlt den Spitälern, sich auf Heilaufgaben zu konzentrieren.

Foto: Standard/Hendrich

Die Gesundheitsreform übersieht die Anliegen der Patienten, klagt der Medizinökonom Michael Heinisch im Gespräch mit Andrea Heigl. Er empfiehlt den Spitälern, sich auf Heilaufgaben zu konzentrieren.

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Standard: Sie haben die Plattform "Medizin mit Seele" initiiert. HabenSie das Gefühl, dass bei der Gesundheitsreformdiskussion auf die Patienten vergessen wird?

Heinisch: Wir reden hier über kranke Menschen oder Angehörige von Kranken, die sich Sorgen um ihr Leben und ihre Zukunft machen. Diese Menschen muss man sehr behutsam behandeln, auch in einer Reformdiskussion. Über die eigene Krankheit ist man meist schlecht informiert, und man ist darauf angewiesen, dass die, die mit einem umgehen, ihren Job gut machen. Deshalb plädiere ich sehr dafür, die Patienten einzubinden.

Standard: Auf der Website von "Medizin mit Seele" schreiben Sie über einen Trend zur Gesundheitsversorgung, die auf dem Reißbrett gezeichnet werde. Was meinen Sie damit?

Heinisch: Man muss im Gesundheitswesen die Individualität der Betroffenen respektieren. Sicher kann man einiges standardisieren, die Behandlungsprozesse etwa. Aber damit ist es nicht getan. Jeder Patient ist individuell, jeder hat sein spezifisches Krankheitsproblem. Wir nennen das Medizin mit Qualität und Seele, und ich denke, das ist es, was in Zukunft im Gesundheitswesen mehr gefragt sein wird.

Standard: Denken Sie, dass die Patienten gut informiert sind?

Heinisch: Das kommt sehr auf die Eigeninitiative an. Manche Patienten sind mündige Gesprächspartner auf Augenhöhe, andere sind sehr schlecht informiert. Wir haben angefangen, einen Qualitätsbericht herauszugeben, obwohl wir das nicht müssen, damit der Patient weiß, was ihn erwartet. Er soll bei gewissen Operationen die Fallzahlen erfahren. Damit kann er abschätzen, welche Routine hinter so einem Prozess steckt.

Standard: Die Information der Patienten ist also eine Bringschuld?

Heinisch: Ja, auf jeden Fall. Unser Ziel muss es sein, den Patienten in eine viel stärkere Rolle zu bringen. Das schaffen wir nur, wenn wir Transparenz sicherstellen.

Standard: Das System ist ja nicht einfach zu durchschauen. Da gibt es etwa die Debatte, ob mehr zentral oder mehr regional gesteuert werden soll. Wie denken Sie darüber?

Heinisch: Ich glaube, dass der Föderalismus für die Gesundheitsreform ein echtes Problem darstellt. Man muss sich anschauen, wie man Synergien über die Landesgrenzen hinweg nutzen kann - dafür braucht es zentrale Steuerungsmaßnahmen. Das heißt aber nicht, dass alles aus Wien bestimmt werden soll, sondern es sollen die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die konkrete Umsetzung, das Dasein für den Menschen, das soll regional gesteuert werden können.

Standard: Eine zentrale Frage ist die Verteilung der Patienten zwischen den Spitälern und den niedergelassenen Ärzten. Sehen Sie da überhaupt irgendeine Steuerung?

Heinisch: Die Schnittstellen sind ein zentrales Problem. Die Krankenhäuser werden von den Landesfonds finanziert, wo auch Sozialversicherungsbeiträge hineinfließen, vor allem aber Steuermittel. Und die Ärzte werden ausschließlich aus den Sozialversicherungsbeiträgen finanziert. Daher versucht jeder, sein System zu optimieren - übrig bleibt die Frage, ob das wirklich patientengerecht ist. Ich kann mir viel vorstellen, um diese Bereiche miteinander zu verzahnen. Wir haben zum Beispiel in Ried im Innkreis ein Spital. Daneben haben wir das "St. Vinzenz Diagnosezentrum" gebaut und vermieten das an niedergelassene Ärzte. Wir nutzen zum Beispiel medizinische Großgeräte gemeinsam, warum soll man alles doppelt kaufen? Es war mühsam, das aufzubauen, aber es ist gelungen, weil wir alle überzeugen konnten, dass sie sich viel ersparen. Und dem Patienten ist gedient.

Standard: Empfinden Sie Gesundheitsreformen als besonders zäh?

Heinisch: Ja, superzäh! Das ist das echte Bohren von harten Brettern, weil alle Interessenvertretungen mit Argusaugen darüber wachen, dass sich nichts zu ihren Ungunsten verschiebt.

Standard: Sie unterrichten Health Care Management an der Wirtschaftsuniversität. Wenn Sie eine Vorlesung im Ministerrat halten würden - was würden Sie der Regierung empfehlen?

Heinisch: (lacht) Das würde ich sehr gerne tun. Es gibt ein großes Thema, und das ist Transparenz an allen Ecken und Enden: Transparenz mit dem Ziel, den Patienten, der ja auch Steuerzahler ist, zu stärken. Transparenz im Bereich der Qualität, um darzustellen, welcher Gesundheitsanbieter in Österreich was leistet. Und Transparenz im Hinblick auf die Mittelflüsse, denn die sind nicht durchschaubar.

Standard: Geht Ihnen diese Transparenz auch bei den Kassen ab, in die jetzt Geld gepumpt werden soll?

Heinisch: Wir müssen darauf achten, dass das Sozialversicherungssystem finanzierbar bleibt. Es braucht aber Vorgaben, wie das in Zukunft weitergehen soll. Ich halte nichts davon, nur Defizite abzudecken, ohne gleichzeitig klare Strategien zu verlangen, wie man verhindern will, dass es in Zukunft nicht mehr zu so einer dramatischen Situation kommt.

Standard: Beim Gesundheitsmanagement geht es um die intimsten Befindlichkeiten der Menschen. Wie gehen Sie an dieses Thema überhaupt heran? Effizienz kann da ja nicht immer an erster Stelle stehen.

Heinisch: Wir dienen mit dem Management den Patienten, das muss klar sein. Wir haben die Aufgabe, Doppelstrukturen, Verwaltungsapparate, Leerläufe und Reibungsverluste zu reduzieren, also alles, was gutes Management auch in Industriebetrieben machen sollte. Aber mit dem Ziel, dass die freigewordenen Mittel dort investiert werden, wo sie dem Patienten den maximalen Nutzen bringen.

Standard: Laut dem Institut für Höhere Studien sind die Ordensspitäler wirtschaftlich deutlich besser unterwegs als andere. Was machen sie denn richtig, was die anderen falsch machen?

Heinisch: Was die anderen falsch machen, weiß ich wirklich nicht. Wir haben uns jedenfalls auf unsere Kernaufgabe konzentriert, und das ist die Heilung von Menschen. Alles andere wie Küche, Reinigung, Logistik und Facility-Management haben wir ausgelagert. Ich habe noch nie verstanden, warum eine Krankenhausleitung sich mit Wäscherei beschäftigen muss. Außerdem bilden wir Schwerpunkte, das erhöht die Fallzahlen - man muss eben fokussieren.

 

Michael Heinisch spricht sich für eine behutsamere Behandlung der Patienten aus - und zwar auch durch die Politik. Foto: Regine Hendrich