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Dirigent Pierre Boulez - ein Symbol für subtil-präzise Erweckung von Klang und Struktur.

 

 

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Natürlich ist der Komponist auch als Maestro zu erleben.


Die Salzburger Mozartwoche beginnt, wie man sich vorstellt, dass eine Salzburger Mozartwoche zu beginnen hat: mit Werken ihres Namensgebers. Besagter Namensgeber muss diesmal allerdings seinen "väterlichen Freund, Logenbruder und verehrten Musikerkollegen" Joseph Haydn am Programm partizipieren lassen, weil dieser im heurigen Jahr einen runden, den 200. Todestag begeht. Wofür Wolfgang Amadé sicher Verständnis haben wird, war er doch vor drei Jahren wegen seines 250. Geburtstages überhaupt der Alleinherrscher über das gesamte Musikleben dieses Landes.

Doch schon am zweiten Festivaltag (24. Jänner) scheint mit Jörg Widmann ein Name auf, der darauf verweist, wie labyrinthisch dieses Programm angelegt ist und wie eng es doch auch wieder geknüpft ist. Der 36-jährige Komponist, dessen erstes Streichquartett durch das Artemis Quartett zur Aufführung gelangt, ist eine Woche später auch der Solist in Dialogue de l'ombre double für Klarinette und Tonband von Pierre Boulez. Und Letzterer, Boulez, war bei der Mozartwoche im Vorjahr wiederum Dirigent der Uraufführung von Widmanns Orchesterwerk Armonica durch die Wiener Philharmoniker.

Auch heuer ist Pierre Boulez, der alterslose 84-Jährige, als Komponist und Interpret gegen Schluss der Konzertreihe auf markante und gleichzeitig aber auch gelassen unauffällige Weise präsent.

Diese unauffällige Gelassenheit hat sich Boulez nicht erst im Lauf der Jahre anerzogen, sondern sie war ihm schon immer zu eigen. Man erinnert sich an einen Abend, der vor 51 Jahren im Konzertsaal des Steiermärkischen Landeskonservatoriums stattfand. Ein junger französischer Komponist präsentierte vor sehr schütterem Publikum eigene Werke. Es war Pierre Boulez.

Der erste Teil des Abends bestand aus Le marteau sans maître, einer zwischen 1953 und 1955 entstandenen Kantate nach Texten von René Char für Alt und sechs Instrumente, welche die nach wie vor romantischen Klangidealen nachhängende Grazer Zuhörerschaft noch einigermaßen tolerierte. Nachdem aber Boulez seine als Abschluss des Konzertes gedachte dritten Klaviersonate zu Ende gespielt hatte, konnte sich ein - wegen seiner sarkastischen Bemerkungen berüchtigter - Professor, es war übrigens der Vater des Regisseurs Hans Hollmann, der hämischen Bemerkung - "Jetzt weiß ich erst, wie deppert der Beethoven ist!" - nicht enthalten.

Boulez, sehr gelassen

Boulez reagierte auf das Gelächter, in dem der spärliche Applaus unterging, schon damals mit souveräner Gelassenheit - wie einer also, der sich seiner Sache ganz sicher ist. Und doch war dieser Beethoven beschwörende Ausruf, im Nachhinein betrachtet, nicht ganz unbegründet.

Hätte Beethoven nämlich nur seine erste Symphonie geschrieben oder nur sein erstes Klavierkonzert, so wäre er doch, wenn auch nicht in allen Details, in seiner kompositorischen Dimension erfassbar gewesen.

Polemische Sprüche

Dasselbe lässt sich nun nach einem halben Jahrhundert auch über Pierre Boulez sagen. So meint etwa Thomas Bösche: "Man kann sagen, dass im ,marteau' alle für das gesamte weitere Schaffen von Boulez wichtigen kompositorischen Mittel ausgebildet sind." Und dies, obwohl sich dieser Künstler immer wieder gewandelt hat und sich immer wieder selbst widersprochen hat. Wer würde ihm nachtragen, dass er im Jahr 1967 - polemisch zugespitzt - die Sprengung der Opernhäuser angeregt hat, aber schon ein Jahr zuvor bei den Bayreuther Festspielen den Parsifal dirigierte?

Vielleicht ist ihm diese stoische Ruhe von seinem ursprünglich begonnenen Studium der Mathematik geblieben. Sie hat ihn bei seinem Studium bei Komponist Olivier Messiaen und erst recht während seine Unterweisungen in der Zwölftontechnik durch René Leibowitz vor jedwedem Enthusiasmus bewahrt.

So konnte er auch guten Gewissens von sich behaupten, dass sich auch in seinem frühen Schaffen die Einflüsse der Tradition, auch der modernen eines Messiaen oder Schönberg, nur bedingt widerspiegeln. Vielleicht mag es diese Inklination zur Mathematik gewesen sein, die ihn von Anfang an die Ordnung als ebenbürtige, wenn zeitweise nicht gar wichtigere Partnerin der Emotion betrachten ließ.

Beste Beispiele dafür sind die 12 Notations, die Pianistin Mitsuko Uchida (zusammen mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, György Kurtág und Johann Sebastian Bach) am 30. Jänner spielen wird. Die erste Klaviersonate, die ebenfalls diesem Werkblock angehört, steht in der Wiedergabe von Hidéki Nagano am 31. Jänner auf dem Programm.

In beiden Werken geht Boulez sowohl über das von Arnold Schönberg als auch über das von Olivier Messiaen stilistisch Erreichte hinaus. Es scheint so, als sollte sein explosives Temperament durch selbstgewählte Regeln an die Kandare genommen werden; was Komponierkollege György Ligeti in seiner Analyse eines anderen Klavierwerkes von Pierre Boulez, den Structures, zur Feststellung veranlasste: "Der Komponist spaziert daher als ein Wesen, das sich selbst an der Leine führt."

Suche nach Anonymität

In diesem Zusammenhang, wenn auch nicht im Hinblick auf die Structures, sagt Boulez selbst: "Ich wollte aus meinem Vokabular absolut jede Spur des Überkommenen tilgen." Und diese Grundhaltung gab er auch nicht auf, als er sich vom seriellen Regelwerk befreite und aleatorischen Techniken zuwandte, ebenso wie in der auf räumliche Klangwirkungen bauenden Schaffensphase wie in jener, in der er mithilfe des Computers real gespielte Instrumentalklänge mit diesen selbst oder einem vorgefertigten Band vermischte.

Dazu zählt auch Anthèmes 2 für Live-Elektronik und Solovioline, das Carolin Widmann am 31. Jänner aufführen wird. Boulez auch beim Schlusskonzert der Mozartwoche: Das Mahler Chamber Orchestra bringt unter Daniel Hardings Leitung (am 1. Februar zusammen mit Werken von Matthias Pintscher und Wolfgang Amadeus Mozart) mit Chiara Tonelli als Solistin dessen Memoriale für Flöte und acht Instrumente zur Aufführung.

Kann gut sein, dass für das Gesamtschaffen von Pierre Boulez gilt, was er über seine dritte Klaviersonate sagte: "Wenn es in diesem Werk etwas an Tiefe zu finden gibt, dann wäre es die Suche nach Anonymität."
(Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.1.2009)