Bildein/Pornóapáti - Im Burgenland, das doch wahrlich keinen Mangel leidet an peripheren, randständigen, unter dem anschaulichen Begriff "Arsch der Welt" zusammenfassbaren Gegenden, gibt es ein Dorf, auf das immer dann die Rede kommt, wenn jemand anfangen will zu jammern übers so Periphere, Randständige, so anschaulich Zusammenfassbare. "Ja ja", heißt es dann, "das stimmt ja alles. Aber unten in Bildein!"

"Unten in Bildein" - das ist eine Art Synonym geworden für jene Selbsthilfe, die, dem Sprichwort zufolge, der Gotteshilfe vorausgeht. Die Dinge selbst in die Hand nehmen und dann nicht auf den ausgetretenen Pfaden dahintrotten: So ließe sich das beschreiben. Oder auch: Wenn einer ohnehin schon am Zahnfleisch daherkommt, ist es hoch an der Zeit, eventuell auch im Konjunktiv zu denken.

In Bildein kam diese Zeit in den Neunzigerjahren. 1993 wurde Walter Temmel, damals gerade 32, Bürgermeister, und seine Gemeinde starb still vor sich hin. Das Hauptproblem war die Abwanderung und die Grenze. Keine Arbeitsplätze, keine Verkehrswege, keine Perspektive außer „sanfter Tourismus" oder jene Verrücktheiten, die ein paar abseitig Kopflastige herumwälzten. Walter Temmel - und das macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung - entschied sich für Letzteres. Und nicht nur das: Er fand genügend Verbündete dafür, die Sache durchzuziehen.

Die Sache war die: Die Gemeinde entwickelte - pomali - ein Leitbild. Die Zeit, die das dauerte, nutzte sie auch, um Rücklagen zu bilden. Nach ein paar Jahren stand fest: Bildein will nicht länger bloß ein Umwelt-, Naturpark-, "Urlaub am Bauernhof"-Dorf sein. Sondern: "Das Dorf ohne Grenzen".
Befeuert wurde der Entschluss durch einen überraschenden Fund. Der Bruder des Bürgermeisters hat einen alten Brief der Gemeindeväter entdeckt, den diese 1920 an den Völkerbund geschrieben hatten, und in dem klipp und klar festgehalten wurde: "Ohne Szombathely können wir nicht leben."

"Rote Bus"

Heute steht dieser prophetische Brief als Motto über dem "Burgenländischen Geschichte(n)haus", mit dem Bildein seine Neuerfindung begonnen hat. Gleichzeitig wurde der alte Pfarrhof in kommunale Dienste gestellt. Heute findet sich darin das "Weinarchiv", der "Kulturstadel", vor allem aber ein Geschäft und das Dorfwirtshaus.

So was hebt womöglich das Wohlbefinden, änderte aber nichts an der prekären Verbindungslage: null öffentlicher Verkehr. Also versammelte Bürgermeister Temmel seine Kollegen. Und nun fährt seit sieben Jahren schon der - kommunale mitfinazierte - "Rote Bus" durchs untere Pinka- und das Stremttal nach Güssing.

Die Verbindung ins 25 Kilometer entfernte Güssing ist aber, geht es nach Walter Temmel, erst der Anfang. Zurzeit arbeiten er und seine Kollegen an einer entscheidenden Erweiterung. Der „Rote Bus" soll zumindest die anderthalb Kilometer weiter nach Norden fahren. Nach Pernau hinüber, also nach Pornóapáti, wo es regelmäßige Umsteigemöglichkeiten nach Szombathely (Steinamanger) gibt. Der Bürgermeister von Pornóapáti, Walter Purker, ist günstigerweise selber Busfahrer bei den Verkehrsbetrieben in Szombathely, erste Gespräche hat es schon gegeben.

"Dorf ohne Grenze"

Pernau und Bildein kooperieren aber auch bei einem anderen Projekt. Das "Dorf ohne Grenze" plant einen vom Künstler Andreas Lehner - der das Dorf seit Jahren ästhetisch berät - entworfenen "Grenzerfahrungsweg". Pernau wird einen alten Wachturm des Eisernen Vorhangs beisteuern.
Zählbare, im Finanzausgleich in die Waagschale zu legende Ergebnisse gibt es in Bildein freilich noch nicht. Von 2001 bis 2008 sank die Bevölkerung von 373 auf 325.

Ohne die Bildeiner Anstrengungen, ist Erich Lendl aber überzeugt, wäre es aber noch schlimmer. Erich Lendl ist der Konditor im Dorf. Er war, wie so viele andere auch, in Wien beschäftigt. Dann kam er zurück. Weil? "Weil ich da daheim bin." Da - das ist nicht bloß Bildein. Lendls Werbefolder liegen - "selbstverständlich" - auch in Szombathely. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2009)