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Nationalstadion in Peking von Herzog und de Meuron: aufregendstes Gebäude des vergangenen Jahres und großformatiger Stein des Anstoßes für architektonische Moraldiskussionen.

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Koolhaas baut für China und kriegt dafür Moralwatschen,...

 

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...die Petronas Towers sind immer noch der Stolz Malaysias.

 

In den vergangenen Monaten hat die Frage, was in dieser schönen Welt als gut und als böse zu betrachten sei, gezwungenermaßen allerlei Ernüchterung und Umdeutung erfahren, und wenn man jetzt im Nachhinein - oder besser, mittendrin - eines ganz genau weiß, dann wenig mehr, als dass alles noch viel komplizierter und über alle Grenzen hinweg miteinander verschlungener ist, als man je angenommen hätte. - Weil selbst im vermeintlich Guten unweigerlich viel Böses versteckt sein kann.

In einer Zeit, in der über Nacht gefeierte Helden der Ökonomie als fettgefressene Böcke geoutet werden, die sich selbst zum Gärtner gemacht und außerdem die Weiden nachhaltig versaut haben, in Zeiten also, in denen ein heilloses Geschrei um den Niedergang jeglicher Wertesysteme ertönt, welchselbige ganz offensichtlich grundlegend und beileibe nicht nur in pekuniärem Sinn wertberichtigt gehören, nimmt sich die Debatte um die Moral in der Architektur doch ein klein wenig fadenscheinig aus.

Moralisches Vergehen?

Die aufgeworfene Frage in den einschlägigen Feuilletons lautet derzeit jedenfalls: Dürfen "westliche" Architekten für fragwürdige politische Systeme bauen, oder machen sie sich dadurch nicht untolerierbarer moralischer Vergehen schuldig? Der großformatige Stein des Anstoßes steht als Chinesisches Nationalstadion in Peking, trägt den Spitznamen "Vogelnest" und ist das zweifelsohne interessanteste Gebäude, das im vergangenen Jahr fertiggestellt und der Welt medial zur Kenntnis gebracht wurde.

Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die Architekten dieser technischen Fingerübung, die vergangenen Sommer zur Ikone der Olympischen Spiele Pekings wurden, mussten sich in der Folge recht häufig den Vorwurf anhören, als Büttel eines ganz üblen diktatorischen Systems hergehalten zu haben.

Die Schweizer begegneten den Anwürfen in großer Gelassenheit mit dem Argument, dass eine Vermittlung zwischen den Kulturen erstens notwendig sei, zweitens nicht zuletzt über Architektur erfolgen könne, und dass drittens all diejenigen, die nunmehr die moralische Keule schwingen würden, durch reines Nichtstun auch nicht eben zur Verbesserung der Welt beitrügen.

Auch Kollege Rem Koolhaas aus Rotterdam steht schwer unter kollegialem Beschuss, seit er dem staatlichen chinesischen Fernsehen CCTV ein kolossales neues Headquarter verpasst, das übrigens ebenfalls in Peking entsteht. Ob er nicht innere ethische Konflikte mit sich selbst auszutragen habe, wenn er einen Staatsfunk gebäudemäßig befördere, der Milliarden von Menschen durch manipulative Berichterstattung unterdrücke, wurde er wiederholt gefragt.

Seine Antwort war stets lapidar: Das chinesische Politsystem ändere sich derzeit so schnell, meinte der kühle Holländer, dass der Staatsfunk wahrscheinlich schon privatisiert und die Unterdrückung des Volkes bereits Vergangenheit sein werde, wenn das CCTV-Gebäude einmal vollendet sei.

Pyramiden und Paläste, Tempel und Kirchen

Diese Koolhaas'sche Kalkulation dürfte sich allerdings nicht ausgehen, das konstruktiv gewagte und den Begriff "Hochhaus" betont neu interpretierende Konstrukt soll heuer eröffnet werden. Es hat jetzt bereits gute Chancen, zum meistdebattierten Gebäude des Jahres 2009 zu werden.

Der Yen, der Euro und der Dollar, schrieb Koolhaas noch vor wenigen Jahren in seinem "Harvard Guide to Shopping" , seien die zeitgenössischen Regime, unter denen wir alle ohne Aufbegehren und Angst leben würden. Möglich, dass er sich mit den letzten Attributen ein wenig verschätzt hat, im Grunde aber hat er natürlich recht, wenn der Begriff des Regimes ein wenig weiter als nach überkommenen Definitionen gesteckt werden darf.

Und die Architekten? Die haben stets die schönsten und sichtbarsten Blumen der Macht hervorgebracht, und das über Jahrtausende hinweg. Es wurden Pyramiden gebaut und Paläste, Tempel und Kirchen, und ob die Bauherren Staats- oder Kirchenmänner waren, Bankdirektoren oder die Hochobersten multinationaler Luxuskonzerne, ist letztlich egal: Die Baumeister, zumindest die erfolgreichsten ihrer Zunft, zählten immer zu den Bütteln im Gefolge der Macht, was per se ja nicht zwingend unmoralisch sein muss, sondern in der Natur dieses mit Geld doch stets sehr eng verknüpften Geschäftes liegt.

Globaler Know-how-Transfer

Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Epochen lässt sich allerdings ausmachen. Die Baumeister selbst sind nunmehr aus der Anonymität herausgetreten und zu "Stararchitekten" geworden - zu medial vielbespiegelten Ikonen und damit zu angreifbaren Größen aus Fleisch und Blut. Und: Der globale Transfer von architektonischem Know-how hat sich gerade im vergangenen Jahrzehnt exorbitant beschleunigt und in zuvor architekturmäßig vom "Westen" gerade einmal müde belächelte Weltgegenden verschoben.

Als im Jahr 1996 das höchste Gebäude auf dem Erdenrund plötzlich nicht mehr aus den USA herausragte, sondern mit Trara in Kuala Lumpur eröffnet wurde, hielt die Architekturwelt für eine Schrecksekunde inne und schaute betroffen über die Grenzen der Ersten in eine andere, unbekannte, gefährlich neue Welt: Eine nach arrogant westlicher Wahrnehmung quasi von Bloßfüßigen besiedelte Stadt hatte Chicago den Rang als führende Hochhausstadt abgelaufen, und es war klar, dass man auf eine neue Epoche zusteuerte.

Mit dem Bau der Petronas-Türme hatte der damalige Premierminister Malaysias, Mohammed Mahatir, treffsicher das angepeilte Ziel erreicht: Mit einem aufsehenerregenden Gebäude auf der internationalen Landkarte Revier zu markieren und als Machtgröße wahrgenommen zu werden.

Der Architekturzirkus hat die Konsequenzen gezogen und ist sofort nachgefolgt. Er tourt jetzt durch Asien, China, den Nahen Osten. Er wird sich weiterdrehen und Blüten treiben - wie gehabt. (Ute Woltron, DER STANDARD, Album, 10./11.1.2009)